Hier lebt die Friedensfahrt fort

Museum in Kleinmühlingen in Sachsen-Anhalt feierte den 10. Geburtstag

  • Annette Schneider-Solis, Kleinmühlingen
  • Lesedauer: 3 Min.

Drei Stapel Siegerschleifen liegen vor Horst Schäfer. Gemeinsam mit seiner Frau Gudrun und Mitarbeiterin Ines Fischer hat er sie sortiert, gebügelt und einige in eine Vitrine drapiert, zusammen mit Medaillen und Startnummern. »Das hat uns Uwe Raab überlassen«, sagt er stolz. Der war 1983 Weltmeister im Straßenrennen der Amateure.

Die Raabsche Sammlung ist der jüngste Schatz im Friedensfahrt-Museum im sachsen-anhaltinischen Kleinmühlingen. Im November 2007 wurde der Neubau eröffnet. Inzwischen weiß Schäfer nicht mehr genau, wie viele Erinnerungen der Radsportgeschichte hier lagern. Mehr als 10 000, beziffert er vage. Schließlich sei jede Briefmarke ein Exponat. Im Museum zeigt er Räder einstiger Radsportgrößen, Trikots in allen Farben, Siegerpokale, Plakate oder auch Briefe an Radsportidol Täve Schur.

Gibt es ein Lieblingsexponat? »Kann ich nicht sagen«, weicht Schäfer aus. »Es sind viele besondere Stücke dabei. Der erste Siegerpokal von Täve, das Rennrad des Deutschen Meisters Edgar Schatz.« Aber andere seien ihm genau so lieb.

Schäfers Leidenschaft begann Anfang der 1960er-Jahre, als er mit seinem Vater eine Etappenankunft in Magdeburg erlebte. »Ich, ein kleiner Junge vom Lande«, versucht er seine Faszination zu beschreiben, »ich fand es großartig, dass so viele Männer drei Wochen lang für den Weltfrieden fahren!«

Besonders ein Fahrer hatte es ihm angetan: der Libanese Tarek Aboul Zahab. »Im Jahr darauf wollte ich wieder hin, und er fuhr auch mit«, erinnert sich Schäfer. Von da an verfolgte er die Friedensfahrt in Fernsehen und Radio. Wann immer es ging, feuerte er das Peloton selbst an.

Erstmals 1948 zwischen Warschau und Prag ausgetragen, wurde die Friedensfahrt zum größten Amateurradrennen der Welt. Vier Jahre später führte die Strecke auch durchs zerstörte Berlin. 1955 gewann Täve Schur als erster DDR-Fahrer das Rennen unter Picassos Friedenstaube. 1991 gab es im vereinigten Deutschland erstmals keine Friedensfahrt mehr.

Schäfer bekam immer wieder Devotionalien geschenkt. »Dabei bin ich gar kein Sammler«, gesteht der ehemalige Agraringenieur. »Aber die Leute haben es mir gegeben, damit ich es für sie bewahre.« 2002 zeigte er erstmals die Erinnerungsstücke in seiner Garage, dann bauten Schäfer und seine ebenfalls radsportbegeisterte Frau den heimischen Stallboden aus und stellten auch dort aus. Im Jahr 2003 sahen sich rund 600 Besucher die Schau an.

Er spricht von der Wende: »Ich habe mir gedacht: Das darf doch nicht das Ende des größten Amateurradrennens der Welt sein! Auf einem Stallboden!«, erzählt Schäfer. So entstand die Idee für den Neubau im Salzlandkreis nahe Magdeburg. Ein Grundstück war da - was fehlte, war Geld. Schäfer sammelte und Täve Schur verkaufte Zinnfiguren anlässlich seines 75. Geburtstages. Am Ende kamen 30 000 Euro zusammen. Ein Architekt plante kostenlos den Neubau. »Auch die Firmen haben mitgezogen, haben Material gespendet oder Arbeitsstunden nicht in Rechnung gestellt«, berichtet der Museumsgründer.

Heute zählt das Friedensfahrt-Museum nach eigenen Angaben 2000 Gäste pro Jahr - nicht nur aus Deutschland. Es ist zum Treffpunkt geworden für einstige und aktive Radsportler. Zum 10. Geburtstag feierten in Kleinmühlingen rund 300 Gäste - darunter einstige Radsportgrößen aus den Niederlanden und Tschechien. Sie erinnerten sich an alte Zeiten, denn 2006 fand die vorerst letzte Friedensfahrt statt. dpa/nd

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