Moderne Welten?

Bildungsrauschen

  • Lena Tietgen
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit September 2017 wird in Polen das Schulsystem umgebaut. Folgte bisher einer sechsjährigen Grundschulzeit das dreijährige Gymnasium, an das das allgemeinbildende Lyzeum oder die Berufsschule anschloss, wird nun die Grundschulzeit auf acht Jahre verlängert und das Gymnasium erst in der Sekundarstufe II eingeführt. Mit dieser Umstellung soll auch ein Wandel der Geschichts- und Biologielehrpläne einhergehen. So werde nun im Biologieunterricht »unverbundenes Faktenwissen« abgefragt, bei dem die Evolution keine besondere Rolle mehr spielen soll. Ähnliches gilt für das Fach Geschichte, in dem künftig Wissen über »berühmte Polen« vermittelt werden soll. Zu denen wird aber nicht mehr der Gründer und ehemalige Führer der Bewegung Solidarność, Lech Wałęsa, gezählt. Diese Auslassung begründete Polens Bildungsministerin Anna Zalewska damit, dass Wałęsa, der nach dem Ende des Kommunismus viele Jahre lang Präsident in Polen war, für die einen ein »Held«, für die anderen ein »Mitarbeiter des Geheimdienstes« gewesen sei (spiegel.de).

Auf deutschlandfunk.de begründet Zalewska die Reform mit der »schlechten Organisation« der Bildung und beruft sich darauf, dass Schülerinnen und Schüler nach zwölf Jahren in der Lage sein müssten, entweder »hervorragende« Studierende zu werden oder einen Arbeitsplatz zu finden. Es habe sich gezeigt, dass schon jetzt Kooperationen von Gymnasien mit Grundschulen zu besseren Leistungen führten, so Zalewska. Für den Vorsitzenden des Lehrerverbandes ZNP, Sławomir Broniarz, ist die Reform eine Sparmaßnahme, da auch Lehrer entlassen und Schulen geschlossen werden sollen. Die Reform passe zur Politik der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die »national-patriotische Bildung« vor allem in den Fächern Geschichte und polnische Sprache voranzutreiben. Den Naturwissenschaften werde dagegen »wenig Zeit« eingeräumt, obwohl Physik, Chemie, Informatik und Mathematik in der »heutigen Welt wichtig« seien, so Broniarz. Er befürchtet zudem, dass die Neustrukturierung dem Staat die Mittel in die Hand gibt, regierungskritische Schuldirektoren durch der »rechtskonservativen Regierungspartei PiS nahestehende« zu ersetzen.

Mit seiner Kritik steht der ZNP nicht alleine da. Bereits 2016 regte sich starker Widerstand. So demonstrierten im November vergangenen Jahres in Warschau rund 50 000 Menschen gegen die Bildungspolitik der Regierung, unter ihnen viele Lehrer, Eltern, Schüler und Oppositionspolitiker. Stellvertretend äußerte die Schuldirektorin Bozena Ludna ihre Sorge vor der Zunahme einer patriotischen Orientierung in den Lehrplänen (spiegel.de).

Mittlerweile zeigt sich, wie chaotisch die Regierung beim Umbau des Schulsystems vorgeht. Zu Beginn des neuen Schuljahres stand ein Teil der Schulen ohne Lehrmaterial da. Bei der OECD fürchtet man, dass die Abschaffung des Gymnasiums zu einem Leistungsabfall des polnischen Schulsystems führt. Die Einführung des Gymnasiums habe bewirkt, so die Organisation, die federführend bei internationalen Bildungsstudien ist, dass Polen 2013 zu den Ländern gehörte, in denen die deutlichsten Leistungszuwächse zu verzeichnen waren (sueddeutsche.de). Lena Tietgen

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