Aufschlag Bond, Vorteil Smiley

Der Thriller-Autor John le Carré zieht nochmals alle Geheimdienstregister - und stellt Winston Churchill infrage

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Sein neues Buch zeigt: Noch in Zeiten von Digitalisierungstaumel und schwindender Lesefähigkeit können sogar hochbetagte Autoren Aufsehen erregen. Wenigstens ausnahmsweise und Ausnahmeerscheinungen wie er: John le Carré, Brite, Schriftsteller, vormals Geheimdienstler Ihrer Majestät, ist gerade 86 geworden. Mit »Das Vermächtnis der Spione« hat er seinen 24. Roman veröffentlicht und darin erstmals nach einem Vierteljahrhundert ein kurzes Wiedersehen mit seiner bekanntesten literarischen Figur George Smiley inszeniert. Vor allem jedoch hebt der Gentleman, der Germanistik in Oxford studierte, Deutsch in Eton lehrte, fünf Jahre im Tarnanzug des Diplomaten an Großbritanniens Botschaft in Bonn und im Konsulat in Hamburg für den MI6 arbeitete, heute aus Sorge um die Weltläufe seine Distanz zum politischen Mainstream hervor.

Le Carré erscheint wie eine Gegenthese zu Churchills Diktum, wonach der, der mit 20 nicht Sozialist sei, kein Herz, und der, der es mit 40 immer noch sei, keinen Verstand habe. Le Carré ist im Blick auf Land und Welt nicht gemäßigter, sondern ungeduldiger und kritischer geworden. Waren seine Spionagegeschichten im Kalten Krieg von Balance bei der Bewertung von Schuld und Unschuld des Westens wie des Ostens bestimmt, bezieht er heute offener Partei. Seiner Kunst bekommt das nicht immer. Seine Haltung in Zeiten von Trump und Terror, von Rassismus, Nationalismus und offenen Nazi-Anleihen macht es kenntlicher.

In Londons Royal Festival Hall etwa zog er Parallelen zwischen dem Aufstieg Trumps und dem des Faschismus in den 30er Jahren: »Vor unseren Augen passiert etwas wahrhaft Schlimmes. Trumps Anstacheln zum Rassenhass und seine Angriffe, wenn er Fakten, das Recht und vieles mehr zu Fake News erklärt - all dies stellt eine Art Bücherverbrennung dar.«

Nun das neue Buch: Protagonist Peter Guillam ist ein alter Bekannter, die einstige rechte Hand George Smileys, seit Langem pensioniert. Mit Frau und Kind, Hund und Hörgerät lebt er auf einem Bauernhof in der Bretagne. Eines Tages bestellt ihn ein Brief vom »Circus«, wie Guillam & Co. intern die Agentenzentrale nannten, nach London. Sofort. Peter bezieht volle Pension, »darf also belästigt werden«.

Mit leichtem Gepäck und großer Beklemmung reist er, stellt sich Verhören und widmet sich dem Studium uralter Akten. Er soll helfen, weit zurückliegende Operationen zu erklären, bei denen Geheimdienstkollege Alec Leamas und dessen Geliebte Liz Gold auf der Ostseite der Berliner Mauer von Grenzern erschossen worden waren. Grund für die Beschäftigung mit der Vergangenheit: Leamas’ Sohn und Golds Tochter bedrohen den Geheimdienst und dessen Ex-Mitarbeiter Smiley und Guillam mit Klage. Sie werfen ihnen vor, Vater und Mutter über die Klinge geschickt zu haben, und fordern späte Gerechtigkeit. Tatsächlich hatten die eigenen Leute Alec und Liz geopfert, um die Staatssicherheit zu täuschen und so die Deckung für einen ranghohen MfS-Kader, Doppelagent für die Briten, aufrechtzuerhalten.

»Das Vermächtnis der Spione« ist sowohl Erinnerung als auch endgültiger Abschluss von »Der Spion, der aus der Kälte kam«. Der Roman von 1963 ist bis heute le Carrés bekanntestes Buch. Sein Riesenerfolg im Westen wie in der Dritten Welt - die Leser in der sozialistischen bekamen vermutlich nichts mit - war so phänomenal, dass sein Autor die Reihen der Schattenmänner verlassen musste. David Cornwell, so le Carrés richtiger Name, wollte und konnte nicht länger verheimlichen, dass aus der Diplomatentarnung ein Schriftsteller ins Freie drängte.

Die Verknüpfung von Einst und Jetzt im neuen Buch fordert Aufmerksamkeit, doch le Carrés Gabe, Geschichten zu erzählen, ist intakt. Das zu erleben, ist ebenso erfreulich wie nicht selbstverständlich. Die Sprache des Mannes, der noch immer mit Füllfederhalter schreibt, ist einfach. Selten wirkt sein Stil aufgepumpt. Ohne Witz ist er deshalb nicht, nur dass auch der leise auftritt. Wie bei Peters Wiedersehen mit einer schottischen Kollegin: »Die Haustür öffnete sich, und da stand das Gespenst von Millie McCraig im Halbdunkel; ihr früher rabenschwarzes Haar war so weiß wie meins geworden, und ihr einst athletischer Körper vom Alter gebeugt; doch noch immer loderte dasselbe Feuer in ihren feuchten blauen Augen, und sie ließ zu, dass ich ihr je einen Luftkuss auf die genügsamen keltischen Wangen gab.«

Anders als die Akteure in Bond-Blockbustern tragen le Carrés Figuren Widrigkeit und Hässlichkeit wirklichen Lebens mit sich. Weder Smiley noch Guillam waren fanatische kalte Krieger, eher Männer mit innerem Abstand zu dem, was sie taten. Ihre Sympathie für das, was sie als Außendienstler in den Ländern des Realsozialismus sahen, hält sich in engen Grenzen. Peter erinnert sich an einen Aufenthalt in den frühen 60ern in einem Dorf bei Weimar: »Nach zwei Stunden Fahrt landete ich in der Tür eines trostlosen sowjethaften Plattenbaus, der in einem Akt sozialistischer Aggression zehn Meter neben der Dorfkirche errichtet worden war.« Doch ihren kühlen Blick für Schwächen und Verbrechen der eigenen Seite verlieren sie darüber genauso wenig. Peter: »… Weil wir ein Haufen hochnäsiger Schwuchteln waren, deren Hauptaufgabe im Leben darin bestand, gegen das Recht zu verstoßen.«

Hier entlädt sich im Buch, was le Carré öffentlich oft noch schärfer formuliert. Anfang 2003 schrieb er einen Artikel in der Londoner »Times«. Zu dieser Zeit stand der Irakkrieg vor der Tür. Le Carré: »Amerika ist in eine seiner wiederkehrenden Perioden historischen Wahnsinns eingetreten, doch die jetzige ist die schlimmste, an die ich mich erinnere, … schlimmer als der McCarthyismus, schlimmer als die Schweinebucht und auf lange Sicht potenziell verheerender als der Vietnamkrieg.«

Ein Hauptgrund für den Riesenerfolg von »Der Spion, der aus der Kälte kam« erklärt sich mit le Carrés Charakterisierung von Geheimdiensten. Bei ihm gibt es keine glamourösen Helden und keine Gewaltorgien, die von Blutbädern abgelöst werden. Darin unterscheiden sich die Spionage-Autoren Ian Fleming und John le Carré grundsätzlich: Wo »007« Superman schlechthin ist, verkörpert Smiley den Antihelden. Wo Bond Triumphe der Unfehlbarkeit feiert, strahlt Smiley im Glanz der Vergeblichkeit. Der US-Kritiker Dwight Garner schrieb zu le Carrés neuem Buch: »Es spielt keine Rolle, dass Smiley inzwischen schon weit über hundert sein müsste. Er ist einfach ein Typ. Einer jener aschfarbenen Engländer, so wie der Dichter Philip Larkin, die schon immer über 60 waren. So wie Keith Richards oder Küchenschaben wird Smiley jede Apokalypse überleben ...«

John le Carré: Das Vermächtnis der Spione. A. d. Engl. v. Peter Torberg. Ullstein-Verlag, 317 S., geb., 24 €.

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