• Kultur
  • Deutscher Kleinkunstpreis

Position und Pointe, Kimme und Korn

Marco Tschirpke stänkert stilvoll mit neuen Gedichten, Aphorismen und Geschichten: »Empirisch belegte Brötchen«

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.

Dem Irrtum, eine Sache sei erst dann ganz erfasst, wenn ihrer erschöpfenden Beschreibung kein Wort mehr hinzuzufügen ist, begegnet der Dichter Marco Tschirpke mit der entgegengesetzten Strategie: Unter den zeitgenössischen Meistern der komischen Künste ist er derjenige, dem ein Werk erst dann als vollkommen gilt, wenn kein Wort mehr wegzulassen ist. Nehmen wir die »Geschichte der 68er«, die in diesem Jubiläumsjahr von Hunderten Autoren auf Tausenden Seiten ausgebreitet wird. Tschirpke genügen für seinen »kurzen Lehrgang« zwei Zeilen: »Sie wollten die Vereinigung aller Proletarier. Sie erreichten die Mülltrennung.« Wer der Meinung ist, die ganze Sache ließe sich knapper auf den Punkt bringen, ist den Beweis schuldig. Einsendungen nehmen wir schon deshalb gerne entgegen, weil wir nicht damit rechnen.

Daran, dass seine Pointen ihren Preis haben, lässt Tschirpke allerdings keinen Zweifel. Eine Sache will nicht nur umfangreich studiert und tief durchdrungen sein, ehe dieser Dichter seinen Säbel schleift und kurzen Prozess mit ihr macht. Vor allem muss sie zur eigenen ästhetisch-politischen Haltung ins Verhältnis gesetzt werden. Das bei allem blitzgescheiten Witz oft unerbittliche Urteil, das Tschirpke über ungeliebte Moden und Menschen fällt, fußt einerseits auf einem beachtlichen historischen Wissen und profunden Können, andererseits auf einem unumstößlichen Bekenntnis zu den Idealen von Klassik und Aufklärung. Das vermag bei einem 42-Jährigen, der in der Öffentlichkeit als »Musikkabarettist« gehandelt wird, durchaus zu verwundern.

Bei der Vorstellung seines jüngsten Buches am Montagabend im Berliner Pfefferberg-Theater sparte Tschirpke nicht mit Nachweisen seiner unverkennbar an Peter Hacks geschulten Dichtkunst und Denkungsart. Die moderne Lyrik, für den gewieft reimenden Dichter ist sie nichts als »Prosa mit Hang zum Zeilenumbruch«. In der künstlerischen Moderne kann er, der sich fortwährend auf die Antike beruft, wenig mehr erkennen als Symptome des Verfalls. Selbst die Soziologie, deren Begründung mit einer Absage an die Politische Ökonomie einhergegangen sei, hat Tschirpke, sich hier auf Georg Lukács beziehend, zur Feindin erkoren.

Der Titel seines Büchleins, »Empirisch belegte Brötchen«, verweist auf das darin enthaltene Gedicht »Emeritierter Professor«, das zur Veranschaulichung einmal vollständig zitiert sei: »Sie hatte ihn am Wickel,/ Die Soziologie./ Auch wenn er’s nie bemerkt hat:/ Sie ihn. Und nicht: er sie.// Erforschend Kleinigkeiten/ Mit großem Aufwand, stand/ Sein Leben ganz im Zeichen/ Der öffentlichen Hand.// Wenngleich er nichts geleistet,/ Wenngleich er nichts bewegt,/ War’n seine kleinen Brötchen/ Empirisch gut belegt.«

Tschirpkes vergnügliche, gleichwohl nicht selten vernichtende Verachtung trifft die späten Günter-Grass-Gedichte (»eine krude Mischung aus Altherren-Zoten und Vorwürfen an Israel«) ebenso wie die Architektur Mies van der Rohes (»der Godfather of Mehrzweckhalle«), sie zielt auf die Profession des Tagesjournalisten (»der Halbgebildete von Berufs wegen«) nicht minder als auf die kunstlosen Kinderlieder des Rolf Zuckowski (»Der Autor hält insbesondere das Lied ›Kommt, wir woll’n Laterne laufen‹ für justitiabel«). Der zuletzt zitierte Satz ist Tschirpkes Zweizeiler »Ein Satz Maxim Gorkis, um einen Einwand ergänzt« als Fußnote beigegeben. Das Gedicht liest sich so: »Ein Mensch, wie stolz das klingt!/ Es sei denn, Rolf Zuckowski singt.«

So unerbittlich er in seinen Urteilen daherkommt, so nahbar und sympathisch ist Tschirpke in seinem Auftreten. Doch nicht mal die Schwiegermutter, als deren Liebling man sich den jung gebliebenen Mann mit den Strubbelhaaren gern vorstellen mag, kommt ungeschoren davon: »Ich habe auf Blumen geschossen/ Mit scharfer Munition./ Sie sind - ich war nicht ungeschickt -/ Gleich reihenweise umgeknickt:/ Fünf Rosen, zweimal Mohn.// Geschossen hab ich sie für dich./ Der Abzug ging wie Butter./ Nur dies behalte ich für mich: Gezielt hatte ich eigentlich/ Auf meine Schwiegermutter.«

Dass dieser freundliche Dichter, der im Übrigen ein virtuoser Pianist und professioneller Gitarrenspieler ist, tatsächlich einen Menschen ins Visier nimmt, wie er es in seinen bösen Gedichten reihenweise tut, kann man sich so wenig vorstellen, wie man seinen wiederholt geäußerten Ruf nach dem Zensor ernst nehmen möchte. Man ist der Kunst doppelt dankbar: dafür, dass sie Künstler wie Marco Tschirpke hervorbringt - und dafür, dass sie sie davor bewahrt, Politiker zu werden oder Henker.

Marco Tschirpke: Empirisch belegte Brötchen. Gedichte & Geschichten (in überwiegend komischer Manier). Ullstein, 176 S., geb., 12 €.

Mit seinem gleichnamigen literarisch-musikalischen Programm geht Tschirpke im Februar auf Deutschland-Tournee, Termine unter: www.marco-tschirpke.de

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal