Das ist der Kevin (Kühnert)

Warum werden junge Politiker oft nicht ernst genommen?

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer an einem x-beliebigen Tag eine x-beliebige Polit-Talksendung einschaltet, wird das Gefühl nicht los, für eine Einladung ins Studio müsse der Gast die Altersgrenze von 40 Jahren überschritten haben. Getreu der Logik: Erst wer zumindest theoretisch Bundespräsident werden kann, vertritt eine politische Meinung, die es wert ist, in einem TV-Studio der Öffentlich-Rechtlichen Platz zu nehmen. Bei anderen Gästen und der Moderation kann es für Irritationen sorgen, wenn das Gegenüber, zumindest dem Alter nach, noch nicht in das höchste Staatsamt gewählt werden darf. Schnell ist da vergessen, dass der Gast Vorsitzender einer Organisation mit 70.000 Mitgliedern ist. Und schwupps wird aus dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert im ZDF-Talk von Maybrit Illner eben der Kevin oder wahlweise »dieser junge Mann«. Warum? Kevin ist eben »erst« 28 Jahre und damit beispielsweise 27 Lenze jünger als Gabor (Steingart), der seine Meinung im Fernsehen äußern darf, weil er ein wichtiger Journalist beim »Spiegel« und später beim »Handelsblatt« war.

Steffen Lüdke hat für bento.de die ZDF-Sendung von Maybrit Illner analysiert. Der Albrecht (von Lucke) fiel etwa dadurch auf, dass er alle Studiogäste mit Ausnahme von Kühnert siezte. Julia (Klöckner) hatte die Altersweisheit parat, wonach politische Jugendorganisationen »ein bisschen Freiheit« hätten, der Juso-Chef aber mehr Realitätssinn an den Tag legen sollte. Als ein SPD-Parteitag am Sonntag über eine Neuauflage der Großen Koalition entschied, waren übrigens 279 Delegierte der gleichen Meinung wie Kühnert, dass die Sozialdemokraten keinen Bund mit der Union eingehen sollten. Hatten die alle keinen Realitätssinn, oder waren sie zu jung für die »richtige« Entscheidung?

Nun ist es schon schlimm genug, dass die Gäste in einem ZDF-Polittalk meinen, über das Altersargument die Debatte mit dem Juso-Chef abwürgen zu können. Bild.de fügte dem noch eine zweite Ebene hinzu: »SPD-Milchgesicht probte schon im Fußballklub den Aufstand«, titelte die Boulevardgazette, deren Chef Julian (Reichelt) sich hinter einem Hipster-Bart nebst passendem Brillengestell versteckt. Überraschenderweise verbirgt sich hinter der Überschrift gar kein Kühnert-Verriss. Stattdessen heißt es anerkennend über den Juso-Vorsitzenden: »Er redet frei, geschliffen, argumentiert sachlich, aber pointiert - ohne zu polemisieren oder zu verletzen.« Doch Hauptsache, auch sein Aussehen und Alter waren Thema.

Dass das Alter irgendeine Relevanz haben könnte, glaubte auch die ARD. Unter ardmediathek.de ist ein Radiobeitrag mit dem Titel »Kevin ganz groß: Porträt des Juso-Chefs« abrufbar. Fast etwas verständlich, wenn sich eine Medienanstalt, deren Durschnittszuschauer nahe dem Rentenalter ist, um Jugendlichkeit bemüht. Passenderweise stellt das junge Medienportal bento.de die Frage: »Werden junge Politiker generell nicht ernst genommen? Und wie kann sich Politik erneuern, wenn die nächsten Generationen nur belächelt werden?« Zu Wort kommt etwa Moritz Heuberger (27), Ex-Chef der Grünen Jugend. Ihn nervt es, »dass visionäre Positionen - Ideen, die wirklich mal jenseits des Politik-Klein-Klein sind - meist nur belächelt werden: als ›realitätsfern, nicht finanzierbar, Hirngespinst junger Leute‹«. Seiner Nachfolgerin im Amt, Ricarda Lang, ärgert sich weniger über eine Reduzierung auf ihr Alter als noch viel mehr über abwertende Kommentare bezüglich ihres Körpergewichts. »Pummelchen, abstoßend, fette Sau - ich will, dass alle, die mir sowas schreiben, wissen, dass ihre Beleidigungen für mich Ansporn sind, jeden Tag weiter zu kämpfen für eine Welt, in der Frauen selbstbestimmt leben können!«, schreibt die Grünen-Sprecherin auf Facebook.

Reduzierung auf das Alter, Sexismus und Bodyshaming seien in den Medien vielfach anzutreffen, findet Ann-Kathrin Hipp auf tagesspiegel.de. »Milchgesicht, Politiker, Mädchen, Politikerin, die Grenzen scheinen fließend. Von einer Realität, in der auch die Generation U-30 selbstverständlich zum Politikbetrieb gehört, ist das Land weit entfernt.« Hipp fordert: »Nehmt die jungen Politiker ernst«, denn wer von Erneuerung spricht, dürfe die jungen Erneuerer nicht belächeln, wenn sie bereit sind, »alles auf den Kopf zu stellen und umzukrempeln«.

Auf Twitter teilen unter dem Hashtag diesejungenleute Politiker ihre Erfahrungen mit. So berichtet Juso-Chef Kühnert davon, wie er von RTL gefragt wurde, ob er in einer Wohngemeinschaft lebe. »Werde anfangen solche überaus relevanten Fragen zu beantworten, sobald Merkel und Co gefragt werden, ob sie beim Joghurt immer den Deckel ablecken«, kontert er.

Ann-Kathrin Büüsker schreibt auf deutschlandfunk.de von einem Generationenkonflikt. Sie schlägt vor: »Nur wenn wir uns ergänzen, kommt am Ende was richtig Gutes dabei heraus. Ihr braucht uns und wir euch. Eure Erfahrung, eure Lebenswelt.«

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