Krachend gescheitert

Nach dem EM-Aus der Handballer will der Verband am Bundestrainer festhalten. Sicher ist das aber keineswegs

  • Michael Wilkening, Varazdin
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Tag danach machte sich der Tross der Niedergeschlagenen um neun Uhr auf in Richtung des Flughafens von Zagreb. Dort trennten sich die Wege der deutschen Handballer, in alle Richtungen entschwebten die Männer, die eigentlich an diesem Freitag in Kroatiens Hauptstadt das Halbfinale der Europameisterschaft bestreiten wollten. Eine desolate zweite Halbzeit beim 27:31 gegen Spanien zerstörte diesen Traum. Am Ende einer enttäuschend verlaufenen EM stand der neunte Platz für den Titelverteidiger.

»Mit einer solchen Bilanz ist es nicht so, dass wir überpositiv nach vorne gucken können«, erklärte Finn Lemke. Der Abwehrchef war wie seine Kollegen tief enttäuscht. Als die Partie gegen die Iberer am späten Mittwochabend endlich ihr Ende gefunden hatte, war jegliche Freude aus den Gesichtern gewichen, die Fassungslosigkeit greifbar. Diese Europameisterschaft mit einigen Nebengeräuschen hatte ein passendes Ende gefunden. Bei einem 0:8-Lauf vom 15:15 zum 15:23 taumelten die deutschen Spieler nicht nur, sie fielen ungebremst zu Boden. »Wir haben sie eingeladen«, sagte Silvio Heinevetter. Sie - das war ein spanisches Team, das ordentlich spielte, das gut vorbereitet war, aber keines, das unschlagbar war. »Wir sind nach einem katastrophalen Turnier ausgeschieden. Das war die schlechteste Leistung, seit ich dabei bin«, sagte der Kieler Torwart Andreas Wolff.

Noch in der Nacht hätten Akteure und Offizielle zusammengesessen, ließ Kai Häfner am Donnerstag wissen, jetzt brauche aber jeder erst einmal Zeit für sich und die Analyse. Uwe Gensheimer, Kapitän der Mannschaft, war kurz angebunden und schloss sein Statement mit dem Satz: »Die Mannschaft wird an diesem Rückschlag nicht zerbrechen.« Gensheimer hatte unmittelbar nach der Begegnung gegen Spanien keine Interviews führen wollen. Und auch direkt vor der Rückreise sah der Linksaußen noch mitgenommen aus.

Da ging es dem Kapitän nichts anders als den Kollegen. Auch Bob Hanning hatte eine unruhige Nacht hinter sich. Der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) muss die Gesamtentwicklung im Auge behalten, darf sich nicht von einem verworfenen Siebenmeter oder Formschwankungen einzelner Akteure beeinflussen lassen. Hanning muss tiefer blicken.

Weil für die kommenden Jahre große Ziele ausgerufen worden sind, musste Hanning nun erst mal eine genaue Analyse des Zustands der Nationalmannschaft ankündigen. Im kommenden Jahr bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land werden die Erwartungen nicht geringer, der Druck nicht kleiner sein. Ein Jahr später soll der Olympiasieg eine Entwicklung krönen, die der Verband mit Hanning an der Spitze vor vier Jahren ausgerufen hatte. Christian Prokop sollte nach der erfolgreichen Aufbauarbeit des Isländers Dagur Sigurdsson den Feinschliff vornehmen. Nach dem ersten großen Zwischenschritt erinnern die deutschen Handballer unter dem neuen Bundestrainer aber eher an einen Scherbenhaufen als an eine nur noch zu polierende Vase.

Deshalb wird im Moment alles infrage gestellt. »Vier bis sechs Wochen« Zeit erbat sich der DHB-Vizechef für eine gründliche Aufarbeitung dieser Europameisterschaft. Die richtigen Schlüsse müssen nun gezogen werden. Andernfalls droht 2019 vor eigenem Publikum ein noch deutlich größerer Imageschaden. Prokop wurde im vergangenen Februar mit einem Vertrag bis 2022 ausgestattet, für ihn hat der Verband sogar 500 000 Euro Ablöse gezahlt. Würde das Projekt mit dem jungen Bundestrainer zum Missverständnis erklärt, wäre es ein teures gewesen. Hanning, so viel steht fest, würde aber davor nicht zurückschrecken, es einzugestehen - auch wenn er vor einem Jahr hart mit den Leipzigern gerungen hatte, um Christian Prokop vom SC DHfK loszueisen.

»Das Ziel ist, mit dem Trainer weiterzuarbeiten«, sagte Hanning. Doch nicht alle Ziele sind erfüllbar. Die eigene Vorgabe bei seinem Amtsantritt hat Prokop in jedem Fall krachend verfehlt. »Die Mannschaft soll die Nation begeistern«, sagte der Bundestrainer. In Kroatien ist dieses Vorhaben auf grandiose Weise gescheitert und es bleibt abzuwarten, ob er eine weitere Möglichkeit bekommt, die eigene Zielvorgabe zu verwirklichen.

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