• Berlin
  • Studie zum Drogenkonsum in Berlins Partyszene

Pillepalle durch die Nacht

Drogenkonsum laut einer Studie in Clubs weit verbreitet / Senat stockt Prävention auf

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Überdosierung und Mischkonsum ist für Clubbesitzer in Berlin ein bekanntes Problem. »Das GHB-Problem ist immer noch da«, sagt Ralf Norden, der einen elektronischen Musikclub in der Hauptstadt mitbetreibt. Hinter dem Kürzel GHB verbirgt sich eine Substanz, die als farblose Flüssigkeit angeboten wird. Die noch potentere Variante GBL wird in der Industrie als Lösungsmittel zur Graffitientfernung eingesetzt. Bei Mischkonsum mit Alkohol kann die Nutzung von GHB/GBL zu lebensbedrohlichen Situationen führen. Es kommt vor, dass die Clubbesitzer und ihre Mitarbeiter dann den Notarzt alarmieren müssen, weil die Drogennutzer in eine Art Tiefschlaf gefallen sind.

Ein weiteres Problem sei des Öfteren die schlechte Qualität der verkauften Drogen und deren Versetzung mit Giftstoffen. »Dagegen würden nur Screenings helfen«, sagt Norden. Also Vor-Ort-Untersuchungen der Substanzen auf deren Reinheit und Wirkstoffe. So wie es sie in der Schweiz seit Längerem gibt. »Je mehr man das Thema aus der Illegalität herausholt, desto sicherer wäre es für die Drogennutzer«, sagt Norden, der in Wirklichkeit einen anderen Namen hat, den er nicht der Zeitung lesen möchte. Denn das Thema, also Drogenkonsum beim Ausgehen, ist heikel. Welcher Club möchte schon öffentlich damit in Verbindung gebracht werden?

Doch wie verbreitet ist der Konsum von illegalen Substanzen in der Partyhauptstadt? Diese Frage hat sich auch der rot-rot-grüne Senat gestellt. Um Antworten zu erhalten, hat Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag gegeben. Am Mittwoch wurden die Ergebnisse der Studie »Substanzkonsum und Erwartungen an Präventionsangebote in der Berliner Partyszene« der Öffentlichkeit präsentiert. Gleich vorne weg: Die vor Clubs und im Internet durchgeführte Befragung des Teams des Charité-Rettungsstellenmediziners Felix Betzler ist nicht repräsentativ. Aber am Ende wurden 877 Fragebögen ausgefüllt, so dass die Ergebnisse immerhin ein Schlaglicht auf das Thema werfen. Demnach besteht das Feierpublikum größtenteils aus jungen Erwachsenen, viele von ihnen sind gut ausgebildet, 40 Prozent der Befragten haben sogar einen Hochschulabschluss. »Das ist ein durchaus anderes Publikum, als wir sonst aus der Suchthilfe kennen«, sagt Berlins Drogenbeauftragte Christine Köhler-Azara. Die Zielgruppe ist laut der Untersuchung nicht nur partyaffin, sondern probiert auch eine ganze Bandbreite von Stimulanzien aus, um die Stimmung zu verbessern und körperliche Effekte zu modulieren. Also beispielsweise, um zu tanzen.

Besonders verbreitet sind unter den Drogenkonsumenten neben den legalen Stimulanzien Alkohol und Nikotin die illegalen Substanzen Ecstasy und Amphetamine, gefolgt von Kokain und Ketamin. Das besonders risikoreiche GHB/GBL wurde in den vergangenen 30 Tagen immer noch von fast zehn Prozent der Befragten genommen. Wobei dieser Wirkstoff nicht nur ein psychisches, sondern auch ein körperliches Abhängigkeitspotenzial birgt.

»Ich will keine Spaßbremse sein«, sagt Gesundheitssenatorin Kolat. Aber auch der Freizeitkonsum könne zur Abhängigkeit führen. Und ein Vergleich der Ergebnisse der Studie mit anderen, weiter zurückliegenden Untersuchungen zeigt, dass die »Drogenaffinität in der Partyszene doppelt so hoch ist wie in der normalen Bevölkerung«, so Kolat.

Vielen Drogennutzern ist das Risiko ihrer Handlungen unterdessen wenig bewusst oder sie sind gleichgültig - es ist quasi Pillepalle, wie man umgangssprachlich sagen würde. Das heißt aber nicht, dass sich Partygänger nicht interessieren. Im Gegenteil: Wie die Studie ebenfalls aufzeigte, ist der Bedarf nach Informationen und Aufklärung enorm. Viele der Befragten wünschen sich auch das vom Clubbetreiber Norden angesprochene »Drugchecking«, also eine Substanzprüfung auf Verunreinigungen.

Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag findet sich dieser Vorschlag im Kapitel »Drogenpolitik liberalisieren und Suchtprävention stärken« wieder. Nur: Weil der Besitz von Drogen in Deutschland nach dem Betäubungsmittelgesetz untersagt ist, gibt es hohe rechtliche Hürden. »Wir machen uns dort auf den Weg«, sagt Kolat. Und: »Der politische Wille ist da.« Sie sei derzeit im Gespräch mit Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), um ein Modellprojekt zu starten. Ein »Drogen-TÜV« soll es aber nicht werden, heißt es.

Um dem Bedarf zu entsprechen, hat der Senat aber die Mittel für Aufklärung und Prävention deutlich aufgestockt. Allein 300 000 Euro stehen in diesem Jahr dafür zur Verfügung. Damit sollen auch Mitarbeiter von Clubs geschult werden, damit sie im Fall der Fälle Überdosierungen besser einschätzen können.

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