• Politik
  • Protest gegen Kohlekraftwerke in Russland

»Gegen Kohle zu sein ist riskant«

Der russische Umweltaktivist Wladimir Sliwjak über wachsenden Protest in den Abbauregionen

  • Friederike Meier
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Ihrer Organisation Ecodefense protestieren Sie gegen die russische Energieerzeugung mit Kohle. Wie geht es der Anti-Kohle-Bewegung in Russland?

Bis vor einigen Jahren gab es in Russland kaum jemanden, der gegen die Kohle protestiert hat. Vor fünf Jahren dachten wir uns: Der Rest der Welt versucht die Kohlenutzung zu beenden. Es geht nicht, dass Russland als drittgrößter Steinkohleexporteur sich überhaupt nicht dafür interessiert. Wir sind bis jetzt auch die einzigen, die sich gegen die Kohle einsetzen.

Wladimir Sliwjak

Die russische Anti-Kohle-Bewegung hat im vergangenen Jahr einen Durchbruch erreicht, sagt Umweltaktivist Wladimir Sliwjak. Allerdings leidet sie unter dem Druck der Regierung. Sliwjak ist Kampagnenleiter bei Ecodefense, einer der ältesten Umweltorganisationen in Russland. Die Nichtregierungsorganisation hat bisher vor allem gegen Atomenergie protestiert. Im Jahr 2014 wurde sie von der Regierung als »ausländischer Agent« eingestuft. Sliwjak ist seit den Anfängen 1989 dabei. Mit ihm sprach Friederike Meier. Foto: Friederike Meier

Warum ist das so?

Es ist politisch riskant, gegen Kohle zu sein, weil die Regierung dafür ist. Es gibt eine Entwicklungsstrategie für die Kohle, die bis zum Jahr 2030 eine Steigerung der Produktion um fast 50 Prozent vorsieht. Russland ist stark auf fossile Rohstoffe fixiert und wirtschaftlich von Öl- und Gasexporten abhängig.

Wie sieht der Protest aus?

Wir haben die Menschen in den Kohleregionen mit verlässlichen Informationen über die gesundheitlichen Folgen und die Umweltfolgen der Kohle versorgt. Wir haben versucht, ein Netzwerk aufzubauen, so dass Aktivisten aus den unterschiedlichen Regionen zusammenarbeiten können. Vor allem waren wir im Kusnezkbecken in Sibirien. Das ist das größte Steinkohlerevier Russlands und fast 60 Prozent der russischen Kohle kommen von dort. Dort gibt es nur die Kohle, also sind die Menschen sehr abhängig. Das ist einer der Gründe, warum vorher noch niemand protestiert hatte.

Aber gleichzeitig ist der Kohleabbau eine Umweltkatastrophe im Kusnezkbecken und viele leiden darunter. Die Abraumhalden, die entstehen, sind mit Schadstoffen belastet. Durch den starken Wind in der Region gelangt der Staub auch auf die Felder. Was auch immer die Leute anbauen, wird von Staub bedeckt. Dort ist die Sterberate höher und mehr Kinder werden mit Geburtsfehlern geboren. Die Menschen kennen die Gesundheitsgefahren, aber viele glauben der Propaganda der Regierung, die sagt: Ihr könnt nur mit der Kohle überleben, sonst gibt es nichts. Das stimmt nicht. Natürlich gibt es Möglichkeiten, dort die erneuerbaren Energien und den Landwirtschaftssektor zu entwickeln.

Waren Sie mit der Vernetzung erfolgreich?

Ja, letztes Jahr gab es einen großen Durchbruch. Zum ersten Mal in unserer Geschichte gab es mehrere Dutzend Protestaktionen in verschiedenen Dörfern und auch eine gemeinsame Demonstration mit 500 Menschen in der Großstadt Nowokusnezk. In einer Umgebung, wo es riskant ist zu demonstrieren, ist das viel. Erst vergangene Woche hat es Proteste mit 200 Leuten aus mehreren Dörfern gegeben, die in einem Ort den Eingang zu einem Tagebau blockiert haben. Noch vor Jahren konnte man sich so was nicht vorstellen, jetzt wird es normal. In den meisten Fällen haben die Menschen sich selbst organisiert.

Wie reagieren die russischen Behörden auf die Proteste?

Die lokale Regierung übt Druck auf manche Aktivisten aus. Das Problem ist, dass die Gouverneure der Regionen von Moskau ernannt werden und auch von Moskau gefeuert werden können. Wenn es Proteste in der Region gibt, bedeutet dies, dass ein Gouverneur seinen Job nicht gut macht. Deshalb tun die Lokalregierungen alles, um die Proteste zu stoppen.

Sind Sie trotzdem optimistisch, was die Zukunft angeht?

Ja, denn die Bewegung ist bisher sehr schnell gewachsen. Und das nicht nur im Kusnezker Becken, sondern auch im Fernen Osten. Es gibt dort oft Proteste von mehreren Tausend Menschen gegen die Verladung der Kohle auf Schiffe für den Transport in asiatische Länder. Viele Menschen dort leiden unter dem Kohlestaub, der entsteht. Ich denke, es gibt die Chance, dass die Bewegung weiter wächst und wirklich groß wird.

Hat das Pariser Klimaabkommen etwas an der offiziellen Einstellung Russlands geändert?

Nein. Es gab keine Fortschritte bei den Klimagesetzen, seit Russland das Abkommen unterzeichnet hat. Russlands Klimaziel für das Paris-Abkommen ist 25 Prozent Treibhausgaseinsparung im Vergleich zu 1990. Im Moment sind wir bei etwa 30 Prozent, das heißt, die Emissionen können noch steigen. Das Abkommen ist aber auch noch gar nicht ratifiziert. Die Regierung sagt, dass sie sich im Prozess der Ratifizierung befindet und dass das im Jahr 2019 passieren könnte. Dass das auch passiert, ist aber nicht sicher.

Was müsste in der Welt passieren, damit die russische Regierung sich für den Klimaschutz einsetzt?

Ich glaube nicht, dass es mit den Menschen möglich ist, die gerade in Russland an der Macht sind. Sie sind vom Geheimdienst oder aus der Armee. Ehrlich gesagt kann man von ihnen nicht erwarten, wirklich etwas von Themen wie Klimawandel oder Demokratie zu verstehen. Vielleicht wird es aber ein Wunder geben und etwas ändert sich.

Was erwarten Sie für dieses Jahr?

Die lokale Regierung im Kusnezkbecken wird ernsthaft versuchen, die Bewegung zu zerstören. Entweder wird die Anti-Kohle-Bewegung überleben oder die Lokalregierung. Das wird sich dieses Jahr entscheiden.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal