Sind CDU, CSU und SPD das Gesetz?

Roberto J. De Lapuente über ausgehandelte Koalitionsverträge, deren Umsetzung noch lange nicht sicher sind

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Kürzlich unterhielten sich zwei ältere Herrschaften in der Frankfurter U-Bahn über die Verhandlungen zur Großen Koalition. Was die jetzt alles mache, die Befristungen heben sie auf und 8.000 neue Pflegekräfte bestellen sie ein. Ob sie es gut oder schlecht fanden, vermochte man nicht einzuschätzen. Dass sie aber offenbar glaubten, dass der potenzielle Koalitionsvertrag quasi schon Resultate just in dem Moment zeitigt, da man ihn unterschrieben hat oder sogar nur über ihn berät, konnte man dem Dialog entnehmen.

Dass die beiden das so taxieren, ist jetzt auch nicht gerade verwunderlich. Die Presse macht es ja nicht anders, auch sie tut so, als sei so ein Koalitionsvertrag Gesetz. Sie zählt vorab die Gewinner und Verlierer auf und nennt schon mal die Veränderungen für das Land so, als seien sie mit Trocknen der Tinte unter der Übereinkunft schon geschehen.

Die Älteren unter den Leserinnen und Lesern können sich vielleicht daran erinnern, dass es mal so etwas wie ein Gesetzgebungsverfahren gab. Irgendwas mit drei Lesungen und der Unterschrift des Bundespräsidenten. So ein Gesetz musste Hürden nehmen. Im Bundestag, zuweilen im Bundesrat und dann musste die graue Eminenz im Schloss Bellevue auch noch seinen August darunter klecksen. Es wurde um Mehrheiten gefeilscht, Überzeugungsarbeit geleistet und Fachkommissionen hatten da schon im Vorfeld geklärt, wie man geplante Gesetze oder Gesetzesänderungen so über die Bühne kriegen kann, dass sie praktikabel bleiben.

Aber in Zeiten der sich verstetigten Großen Koalition macht man da Abkürzungen: Da reichen schon die vagen Ausführungen einer Absprache zwischen Koalitionären und wir glauben uns als Gesellschaft bereits im Veränderungsmodus.

Plötzlich kommt der Koalitionsvertrag, ein an sich ja geduldiges Stück Grundlagenpapier, das überdies ohne fachliche Erklärungen und perspektivische Konzeptionen auskommen muss, sondern mehr schlecht als recht so eine Art Willensbekundung ist, fast schon einem legislativen Transformationsprozess gleich. Ein Vertrag im rechtlichen Sinne ist er ja nicht. Seine Erstellung und Abzeichnung wird in der öffentlichen Debatte allerdings wie ein Gesetzesentwurf gehandelt, wie eine reine Formsache.

Wenn man mal wieder jemanden ein gelungenes Beispiel für die Postdemokratisierung unserer Gesellschaft vor Augen führen will, es reicht auf den medialen Umgang mit der GroKo zu verweisen. Sie wird offenbar als annähernde Alleinherrscherin begriffen. Man hat sich offensichtlich schon so sehr mit ihr abgefunden, dass man sich im Grunde aufwendige Gesetzgebungsverfahren sparen möchte. Steht doch schon alles im Koalitionsvertrag so halbwegs drin. Reicht doch, wenn wir eine Kopie von ihm hinten ans StGB, ans SGB oder ans GG heften. Als Verfassungszusatz quasi.

Es ist ein fatales Zeichen, dass im öffentlichen Raum mit einer solchen Betriebsblindheit von dieser Koalition gesprochen wird. Dass man sie wahrnimmt wie eine durch demokratische Mittel zur Machtausübung gekommenes Naturgesetz, über das es sich offenbar nicht zu verhandeln lohnt. Dies unterstreicht mal wieder nachdrücklich, wie gewieft es ist, neo-feudale Strukturen in das Korsett dieser gespielten Demokratie zu zwängen: Denn man merkt kaum, wie heimlich, still und leise sich da was verschiebt.

Und plötzlich gilt die Absichtserklärung von drei Parteivorsitzenden als faktischer Beschluss, obwohl man ja aus der Erfahrung recht gut weiß, dass die Koalitionsvereinbarung von gestern im Heute nicht unbedingt Geltung haben muss. Wäre ja nicht die erste, die nicht das Licht der Welt erblickte. Nicht nur in der GroKo manifestiert sich unser schleichender Übergang ins Postdemokratische, sondern eben auch in der PR, die sich um dieses Bündnis rankt. Sie hievt Parteivorstände in die Rolle gefühlter Gesetzgeber und täuscht mit dieser Masche die Menschen im Lande.

Meine zwei Mitfahrer aus der U-Bahn gehen vielleicht demnächst mal wieder zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus. In der vollen Überzeugung, dass der Koalitionsvertrag uns 8 000 neue Pflegekräfte eingebracht hat. Die gucken dann so doof wie mancher Sozi, als Martin Schulz vor die Presse trat und sagte, er übergebe Frau Nahles den Parteivorsitz. Übergeben? Kann sich noch jemand an die Zeiten erinnern, da man sich zur Wahl für ein solches Amt aufstellte und abwartete, bis man dann auch gewählt war?

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