Novelle zum Wahlgesetz polarisiert

Stimmenthaltungen deuten auf rigorosen Parteienzwang hin

  • A. Cäcilie Bachmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn es ans Eingemachte geht, treibt das Verhalten in der Bremischen Bürgerschaft, dem Landtag des kleinsten Bundeslandes, seltsame Blüten. Zur Abstimmung über eine Wahlgesetzänderung, die wieder den Kandidaten auf den Parteilisten den Vorrang vor den Personenkandidaten gibt, meldeten sich Abgeordnete beim Parlamentspräsidenten ab. Damit galten sie als entschuldigt fehlend. Einige wurden aber direkt während der Wahl im Parlamentsgebäude gesichtet. Diese Art der Stimmenthaltung deutet auf einen rigorosen Parteienzwang.

Dabei war die Novellierung keineswegs in Gefahr: 60 Abgeordnete stimmten zu, 13 lehnten ab - und zehn waren zur Wahl nicht anwesend.

So wurde das erst zur vergangenen Landtagswahl eingeführte Wahlrecht, das unter anderem jedem Wähler fünf Stimmen zur freien Verteilung auf Listen, Listenkandidaten oder Personenkandidaten brachte, zur Wahl im Frühjahr 2019 modifiziert.

Wurden vor drei Jahren zuerst die Personenstimmen gewertet und die übrig gebliebenen Mandate den Listen zugeteilt, so soll im kommenden Jahr wieder andersherum abgerechnet werden. Der Effekt ist der, dass mehr Plätze über die Liste verteilt werden. Vor drei Jahren führte das Verteilverfahren in Kombination mit den fünf Stimmen pro Wahlberechtigtem zu deutlich weniger Plätzen im Parlament über die Parteilisten.

Außerdem schafften es einige Kandidaten in den Landtag, die von nur gut 300 Menschen gewählt wurden. Denn durch die dürftige Wahlbeteiligung von gerade mal 50,2 Prozent reichten rund 1500 Kreuze für einen der begehrten 83 Parlamentssitze.

Im aktuellen Landtag der Hansestadt sind mehr als ein Viertel der Abgeordneten über die Personenwahl eingezogen. Andere, die sich auf einem sicheren Listenplatz wähnten, haben kein Mandat bekommen.

Besonders ärgerlich für die SPD war es, dass einige Abgeordnete über die Personenliste in die Bürgerschaft gekommen waren, deren Immunität gleich zu Beginn der Legislaturperiode aufgehoben werden musste. Grund waren zum Beispiel Anklageerhebungen wegen Sozialbetrugs.

Das neue Wahlrecht soll laut SPD dem versprochenen Kampf gegen die niedrige Wahlbeteiligung dienen. Die Bremer Linken, die trotz Bedenken zustimmten, erhoffen sich weniger fehlerhafte und damit ungültige Wahlzettel und eine fehlerfreie Auszählung. Die der Wahl 2015 führte zu über zwei Jahre dauernden juristischen Auswirkungen bis hin zum Bundesverfassungsgericht.

Die CDU hofft, weniger unpassende Mandatsträger im Parlament anzutreffen, wenn erst die Liste abgearbeitet wird, bevor Personen mit geringer Stimmzahl ein Mandat bekommen. Letzteres wird auch als Argument den Kritikern entgegengehalten, die die Neufassung des Wahlgesetzes undemokratischer finden, weil die Parteien über ihre Listen die Mandatsverteilung dominieren. Wenn nur die Stimmen von gut 300 Wählern von über 487 500 Wahlberechtigten für ein Mandat ausreichen, stellt sich die Frage nach dem demokratischen Charakter einer Wahl.

Auch die Gegner der Novellierung, das Bündnis »Mehr Demokratie« und die FDP, führen Demokratie als Argument an beziehungsweise schelten den Vorrang der Mandatsvergabe über die Parteilisten als undemokratisch. Damit würden die Parteien entscheiden und nicht das Volk.

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