Magische Objekte erzählen von vergessenen Schicksalen

Objekte und Assemblagen des Künstler-»Monteurs« Markus Meurer in der Galerie Art Cru

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

Er sieht es als seinen Lebensauftrag an, nutzlos gewordene Objekte zu retten, ihnen durch Verwandlung eine neue Chance, eine neue Bedeutung und Ausstrahlung zu verleihen. Seine Etagenwohnung in Kevelaer am Niederrhein ist Atelier und Ausstellungsraum zugleich, hier stehen oder hängen sie, seine animistischen Figuren, seine hybriden Doppelwesen, halb Mensch, halb Tier, halb Insekt, halb Maschine. Sie sollen eine schutz- und kraftgebende Wirkung ausüben, sie sind für ihn wie Reliquien, Gegenstände kultischer Verehrung.

In einer solchen Konstruktion kommt bei Markus Meurer auch der Wille zum Ausdruck, nicht mehr darzustellen, sondern herzustellen. Der Künstler wird zum »Monteur«. Er hat das Bedürfnis, aus dem Vielfältigen ein Ganzes, aus den Gegenständen des täglichen Lebens, den Abfallprodukten, dem Müll der Zivilisation Objektmontagen zu schaffen, die der deutenden Phantasie alle Freiheit gewähren. Kieselsteine, Knochen, Äste, Zellophan- und Plastematerialien, Reste von Konservendosen, Glühbirnen sind ihm genauso wichtig wie elektrische Apparate, Spiralen, kaputtes Spielzeug oder eine CD.

Magische Objekte entstanden, bei denen er sich vom Formausdruck eines Fundstückes inspirieren ließ oder bei denen die Kombination von Stücken verschiedener Form und Funktion assoziativ ein neues Ganzes von formaler Kraft und Bedeutungsgeladenheit ergeben. Eine Aura von Ferne, Abenteuer und Geheimnis umgibt diese Zeugnisse der Zeit, in unverständlicher Sprache erzählen sie von vergessenen Schicksalen.

Ein Staubsauger wird zu einer Flugmaschine, eine Kaffeekanne zu einem »Kannekäfer«. Kunstvoll ist der »Goldene Hahn« aus Zellophanbeuteln, Steinen, einem Bleistift und Draht zusammengefügt. Ein Schwarm filigran geformter Insekten bevölkert die Wand; in der wechselvollen Entwicklung von der Larve zur Verpuppung zum reich gegliederten Tausendfüßler oder gepanzerten Hirschkäfer erkennt Meurer Parallelen zum menschlichen Aufstieg ins Licht. Aus einer zertrümmerten Colabüchse entsteht wundersam ein Maikäfer mit Fühlern und Beinen aus Draht. Die filigrane »Spitzerkrake« wiederum besteht aus einer aufgefächerten Senftube mit einem Drahtgeflecht als Leib.

In »Frauenkreuzigungsbefreiung« bilden zwei zusammengebundene Äste den Stamm des Kreuzes. Um den Querbalken ist ein Gürtel gewunden, der von einem Band mit Kronen umwickelt ist. Als Corpus dient eine nackte Barbiepuppe, zwischen deren Beinen eine Rakete mit der Tastatur eines Taschenrechners befestigt ist. Was meint der Künstler mit »Zündung der Begreifung«? Christus am Kreuz wird von einer Glühbirne überstrahlt - ein Licht des Begreifens soll aufgehen -, und für denjenigen, der den Sinn des Opfertodes Christi immer noch nicht begriffen hat, ist ein Zündschloss mit Zündschlüssel beigegeben. Oft verwendet Meurer die Aufschriften und Aufkleber von Produktverpackungen für die jeweiligen Titel seiner Werke. In seinen Objekten wird nicht nur das surrealistische Mittel der Assoziation genutzt, auch in den Werktiteln klingt ein typisch surrealer Wortwitz an.

Bei seinen lebensgroßen Skulpturen wie »Michael Jackson« oder auch »Der Chemiker« beruht die produktive Schockwirkung wohl auf der abstrusen Verbindung von nicht Zusammengehörendem, aber in entscheidendem Maße wohl auf der penetranten Präsenz des Dinglichen. Es sind wahre Schreine des Abfalls, hochdramatisch manchmal, tragisch in der Gebärde oder grotesk, oft von ansteckender Heiterkeit in ihrer Emsigkeit. Aber sind sie nicht auch Dokumentationen der Notwehr des Menschen gegen die Übermacht der Dinge um uns?

So wird der Ausstellungsort zum Erlebnisort, das »Ding«, das geheimnisvolle und psychologisch eindrucksvolle Gebilde zu einem verwirrenden und alle herkömmlichen ästhetischen Muster durchkreuzenden Ereignis.

»Markus Meurer«, bis zum 7. April in der Galerie Art Cru, Oranienburger Str. 27, Mitte

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