Sanchez bleibt in Untersuchungshaft

Katalonien: Parlamentsdebatte über Regierungsbildung verschoben / Protestkundgebung in Barcelona

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 3 Min.

Der spanische Richter Pablo Llarena hat erwartungsgemäß dem katalanischen politischen Gefangenen Jordi die Haftverschonung verweigert. Er ist noch darüber hinausgegangen und lässt nicht zu, dass Sànchez am Montag ins Parlament kommen kann, um zum katalanischen Präsidenten gewählt zu werden. Damit wird das erklärte Ziel der spanischen Regierung verwirklicht. Regierungssprecher Íñigo Méndez de Vigo hatte mit Blick auf Sànchez angekündigt, man werde »eingreifen«, falls ein Präsident gewählt werden soll, der »inkompatibel mit Legalität« sei.

Nach dem Urteil des Ermittlungsrichters am Obersten Gerichtshof erklärte Méndez de Vigo nun, man solle Respekt vor der Entscheidung haben. Sànchez könne nicht Präsident werden und man könne »die Katalanen nicht dauernd betrügen«. Dabei gibt es in Spanien kein Gesetz, dass die Amtseinführung eines Untersuchungsgefangenen verbietet. Deshalb wurden bisher auch Untersuchungsgefangene der baskischen ETA immer wieder ins Parlament gelassen. Juan Karlos Ioldi etwa konnte seine Präsidentschaftskandidatur in einer Zeit im baskischen Parlament in den 1980er Jahren verteidigen, als Anschläge der ETA und Gefangenenbefreiungen an der Tagesordnung waren.

In einer Demokratie gilt die Unschuldsvermutung. Eine Person gilt so lange als unschuldig, bis sie rechtskräftig verurteilt ist. Im Fall von Sànchez und den übrigen katalanischen Gefangenen wird bisher nur ermittelt. So greift Llarena im Sinne der Regierung nicht nur tief in die Parlamentsautonomie ein, womit ein zentraler Pfeiler der Demokratie gekippt wird; er versucht auch, die politischen und zivilen Rechte von Sànchez und das Wählervotum auszuhebeln. Der angesehene Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo und viele andere Juristen sprechen von »Rechtsbeugung gegen die Demokratie«. Sie gehen davon aus, dass sich Llarena strafbar gemacht hat und seine Richterbefugnisse verlieren müsste. Es sei der »schwerste Fall von Rechtsbeugung, die ein Richter in einer Demokratie« begehen könne, meint Royo.

Die Richtervereinigung Praga spricht von einer »Ungeheuerlichkeit«. Sànchez werde für das »brutale Vorgehen der Polizei« in einer »militärähnlichen Operation« gegen Teilnehmer des Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober verantwortlich gemacht. Die Richtervereinigung spricht von einem »Märchen«; der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte werde eine andere Geschichte hören. Der Anwalt von Sànchez hat angekündigt, dass man am Montag Straßburg anrufen werde, um über vorläufige Maßnahmen die Rechte von Sànchez zu schützen. Derweil hat der katalanische Parlamentspräsident Roger Torrent die Sitzung zur Amtseinführung auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Torrent will abwarten, wie sich der Europäische Menschenrechtsgerichtshof äußert.

So wird zum zweiten Mal über die spanische Justiz eine Amtseinführung verhindert. Es drängt sich der Eindruck einer massiven Instrumentalisierung auf. Das Verfassungsgericht hatte auf Druck der Regierung schon mit Tricks die erneute Amtseinführung von Carles Puigdemont verhindert - obwohl es zugleich bestätigt hatte, dass auch der nach Brüssel Geflüchtete Kandidat sein könne. Es hält bis heute an »vorsorglichen Maßnahmen« fest, die das aber real verhindern. Dabei hat das höchste Gericht nicht einmal entschieden, ob es eine »präventive« Klage der spanischen Regierung gegen die Investitur Puigdemonts annimmt; Verfassungsrechtler stufen sie als Rechtsbeugung ein. Die Richter entschieden auch nicht über zwei Klagen, ob es verfassungsgemäß war, den katalanischen Präsidenten abzusetzen und Zwangswahlen anzusetzen. Zwar hat das Gericht die Klagen aus begründeten Zweifeln angenommen, jedoch keine vorläufigen Maßnahmen verhängt, um größeren Schaden zu verhindern.

Der Katalanischen Nationalkongress (ANC), dessen Präsident Jordi Sànchez vor seiner Kandidatur war, hatte derweil für Sonntagnachmittag zu einer Großdemonstration in Barcelona aufgerufen, um gegen die spanische Zwangsverwaltung und die Repression zu demonstrieren. »Republik sofort«, lautet das Motto. Man werde die »Verpflichtung« durch das Referendum mit der Republik »ratifizieren«, wie es auch am 21. Dezember bei den Wahlen geschehen sei, erklärte der ANC-Vizepräsident Agustí Alcoberro.

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