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Verlangen und Versagen

David Szalay: Panorama der Männlichkeit im Spätkapitalismus

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn die Freundin sagt, dass sie schwanger ist, sollte Mann seine Worte gut wählen. »So eine Scheiße«, antwortet Karel auf der Autobahn. Wobei er in diesem Moment eher an den Kratzer im Lack denkt und wie er das nun dem leicht korrupten Schwiegervater in spe erklären soll. Doch gesagt ist gesagt. Noch ein paar Tränen und Schweigen und Schluss.

David Szalay: Was ein Mann ist. Roman.
A. d. Engl. v. Henning Ahrens. C. Hanser Verlag, 512 S., geb., 24 €.

Karel ist einer der neun Männer, die David Szalay in ganz lose verbundenen Episoden seines Romans »Was ein Mann ist« auftreten lässt. Ein Panorama der Männlichkeit im Spätkapitalismus: neun Männer von 17 bis 73 Jahren, neun Monate von April bis Dezember. Es ist kein Wunder, dass Szalay erst im April, im Lebensfrühling, beginnt. Es geht um Männer und deren Liebe, Begehren, Denken, Zweifeln, Verlangen und Versagen. Szalays literarischer Blick darauf ist gnadenlos, die Sprache auch in der deutschen Übersetzung von Henning Ahrens genau und schnörkellos.

Da ist der 17-jährige Simon, der mit Ferdinand durch Europa tourt. Warschau, Berlin, Prag, billige Absteigen und Pensionen. Simon ist nicht wirklich bei der Sache: »Was tue ich hier?« Im Kopf hat er Gedichte und ein Mädchen in England, während Ferdinand mit der Frau des tschechischen Vermieters im Bett landet, die eigentlich auf Simon aus ist. Die jüngeren Männer bei Szalay: Sie treiben mehr durchs Leben, als dass sie gehen. Die Mittelalten: Sie wissen zu gehen, aber nicht mehr wofür. Die Alten: Wissen, dass es zu Ende geht. Trostlos? Auch. Vor allem ist da Nüchternheit.

Szalays Roman ist 2016 im Original erschienen, damit ein Pre-Brexit-Roman - und vielleicht auch ein ungewollter Abgesang auf ein Europa, das in den Augen des 1974 geborenen Autors zu einem Raum verschmilzt, in dem Landesgrenzen tatsächlich keine Rolle mehr spielen, Beziehungen so international wie die Kapitalflüsse unbegrenzt sind. Stansted, der Flughafen der Billiglinien, ist ein ebenso selbstverständlicher Ort wie die nächste Bushaltestelle.

Am traurigsten vielleicht der Oktober. Murrays Mutter ist gestorben. Seine Schwester und seinen Bruder verachtet er. Alec, der Gewerkschafter, hält Murray für eine Art Steuerflüchtling, weil er aus London an die »kroatische Riviera« gezogen ist. Murray gefällt das, denn Steuerflüchtlinge haben vorher Gewinne gemacht. So wie Ölfirmen, mit denen sich Murray »auf einer Seite« sieht.

Die Wahrheit ist wie das Ölgeschäft - schmutzig, banal. Die »kroatische Riviera« ist die Provinz im Hinterland, der »Steuerflüchtling« hatte einfach keinen Job mehr bekommen. In Kroatien ist er einsam, und Hans Pieter (»die Niete«) ist sein einziger Freund. Der bekommt auch noch Maria, die Murray zwar ebenfalls verachtet, aber in einem Anflug von Realismus als in seiner Liga spielend erkennt. Murray scheitert, als er betrunken die Mutter Marias angräbt. Und seine »Investition« in ein Minibus-Unternehmen scheitert - er wird einfach abgezockt. »Ich war ein Idiot. Punkt. Aus«, so möge es auf seinem Grabstein stehen.

Szalay wird in seinen Beschreibungen nie sentimental, lässt »wirklich keine Gnade walten«, wie er selbst sagt. Ein »Männerbuch« wollte er nie schreiben. Es ist zwar die Geschichte von neun Männern, aber genauso die Geschichte eines Jahres, eines Lebens, das vor den Augen der Leser genauso wie der Leserinnen abläuft. »Das Leben ist kein Witz«, konstatiert einer seiner Protagonisten. Ohne Pointe.

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