Die Barbarei und die Hoffnung

Schauspiel Magdeburg: Philipp Ridleys »Schwarze Schmetterlinge«

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Titel des Stücks nimmt das katastrophale Ende voraus. »Schwarze Schmetterlinge« werden besonders aggressive Psychopillen genannt, es sind Drogen, die den Willen zum Suizid ins Irrationale steigern und dem Menschen allen Widerstandswillen nehmen. Solche »Schwarze Schmetterlinge« werden einem zehnjährigen Jungen verabreicht, der in einer perversen Party im Londoner West End einem traumatisierten Kriegsveteran als Opfer dienen soll. Der kann die fixe Idee, in Vietnam einst von eigenen Leuten verraten worden zu sein, nicht loswerden, und er nutzt geradezu manisch jede Gelegenheit, seine Rachegelüste abzureagieren und sich dabei sexuell zu erregen. Organisiert hat die Party eine Londoner Jugendgang, und ihr einundzwanzigjähriger Anführer will für die bizarren Dienste abkassieren. Diesmal aber kommt es anders. Die Apokalypse, die bisher nur in den Rauschzuständen der Jugendlichen irrlichterte, nimmt reale Gestalt an. Opfer und Partygast kommen um. Einer der beiden Brüder, die die Party vorbereitet haben, erhebt die Pistole gegen sich. Ob er allerdings abdrücken wird - das bleibt in diesem Stück offen. Der Autor, der 1964 im Londoner West End geboren wurde und bisher mit Gemälden und Büchern, mit Filmen und Theaterstücken hervorgetreten ist, sucht in seiner Dramatik die grellen Farben und nimmt immer wieder das brisante Problem der Jugendgewalt in den Slums ins künstlerische Visier. In all seinen dramatischen Texten aber stellt sich eine Balance zwischen Barbarei und trotziger Hoffnung her. Auch die allein gelassenen Helden seines bisher letzten Stückes halten tapfer an einem Zipfel Zuversicht fest. Inmitten der Toten, unter berstenden Wänden, träumt der sechzehnjährige Darren noch vom »anderen Planeten», den er sich suchen will. Das Stück ist in seiner schonungslosen Brutalität hierzulande schwer spielbar - auch weil die in England immer mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit dringende alltägliche Gewalt auf den Straßen in Deutschland ihresgleichen sucht. Und: Weil es die Tradition der blutigen Extremszenarien von Schriftstellern wie Ravenhill und Kane nicht gibt. Dem Regisseur Sascha Hawemann ist vor diesem Hintergrund Erstaunliches gelungen. Er schafft Situationen, aus denen die brutalen Texte und Handlungen zwingend aufsteigen. Die bis zur Unerträglichkeit reichenden Kraftausdrücke, die von Hass geprägten Gewaltandrohungen werden nicht als kritikwürdig Fremdes ausgestellt - nein, diese Sprache ist den so eingeführten Figuren ins Bewusstsein gebrannt. Sie haben es verlernt, sich anders zu artikulieren. Für langwierige Reflexionen und Debatten ist nicht Platz in dieser pausenlos jagenden Inszenierung. Die Sprache steigert oder verschleiert Absichten, der Wille zum Überleben treibt die Figuren an. Wenn Eliott seinen kleinen Bruder gewalttätig in die Schranken weist, dann will er ihn vor tödlichen Alleingängen bewahren, und wenn der so Beschützte geradezu innig oder verzweifelt Szenen aus dem gemeinsamen Elternhaus in Erinnerung ruft, dann, um die Freundschaft des Älteren zurück zu gewinnen. Der Regisseur versucht, Struktur und Rhythmus in die fast 140-seitige Textwüste von Ridleys Stück zu bringen. Dem Schrei folgt die Stille, dem Gewaltakt die scheue zärtliche Berührung, dem Redeschwall das Schweigen, dem knappen Befehl die Weltvergessenheit des Drogenfiebers. Und: Hawemann geht auffällig über die Eins-zu-Eins-Zeichnung hinaus. Wenn im zweiten Teil des Stückes der Anführer Spinx mit seiner seltsamen Freundin, der blinden Fürstin, erscheint, dann schlägt die Szene unversehens in die schaurige Groteske um. Mit ihrem weißen Blindenstock dirigiert sie die Jungen in eine fiktive Schlacht, und mit der Selbstverliebtheit einer mittleren Operettendiva singt sie aufgefordert oder nicht aufgefordert ihre Liedchen. Schauspielerisch ist ein vergleichsweise hoher Standard erreicht worden. Am besten haben mir die beiden Brüder Darren und Elliott gefallen. Rene Schwittay zeigt als Darren nicht so sehr die geistige Zurückgebliebenheit des Jungen, sondern offenbart besonders dessen krampfhafte Bemühtheit, gedanklich dem Geschehen zu folgen - und Aleksandar Tesla als Ellitoo hat von allen Beteiligten das größte sprachliche und körperliche Differenzierungsvermögen. Auch wenn gegen Ende hin die Inszenierung bedrohlich in Krach und Gewalt unterzugehen droht und zuweilen ein überflüssiger Zug zum Illustrieren nicht zu übersehen ist - hier ist eine junge Truppe an einer komplizierten künstlerischen Aufgabe gewachsen. Nächste Vorstellung am 24. April
Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal