Twitternde Beamte

Für die Polizei gilt im Gegensatz zu Journalisten kein Pressekodex: Bei der Arbeit in den sozialen Netzwerken wirft das ethische Fragen auf

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Für Journalisten ist die Sache theoretisch klar. Im Pressekodex heißt es, Medienvertreter sollten die Zugehörigkeit zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnen, wenn ein begründetes öffentliches Interesse daran vorliegt. Der Gedanke dahinter: Dadurch soll eine »diskriminierende Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens« vermieden werden. Redaktionen halten sich mal mehr, leider immer öfter weniger gut an diese Richtlinie. Für die Polizei gilt diese Regel nicht, obwohl sie sich ebenso immer wieder fragen muss, ob sie die Herkunft eines Täters für erwähnenswert erachtet. Früher nannte sie die Herkunft in der Regel via Pressemitteilung oder auf Nachfrage eines Journalisten, doch seit die Sicherheitsbehörden die Sozialen Netzwerke für sich entdeckt haben, ist nicht nur der Informationsfluss zu Pressevertretern, sondern gleich zum internet-affinen Teil der Bevölkerung viel schneller geworden. Und die Polizei? Sie macht davon regen Gebrauch.

Inzwischen gibt es 300 offizielle Polizeikonten auf Facebook und Twitter, wie der Kriminologen Thomas-Gabriel Rüdiger gegenüber netzpolitik.org berichtet. Und die Beamten nutzen die digitalen Verbreitungskanäle sehr aktiv, stellte Rüdiger fest. »Damit kann die Polizei schnell und breitenwirksam direkt zur Bevölkerung sprechen und gewinnt dadurch an Einfluss«, schätzt dann auch Netzpolitik-Autor Alexander Fanta den Vorteil der Social-Media-Arbeit aus Sicht der Polizei ein. Im Gespräch mit dem Nachrichtenportal legt der Presserats-Sprecher Manfred Protze den Beamten und der Politik nahe, sie müssten klären, welche ethische Verantwortung die Polizei auch im Netz habe. Fanta kritisiert, die Beamten legten im Netz zunehmend ein »marktschreierisches Auftreten« an den Tag.

Polizeivertreter bestreiten solche Vorwürfe. Im Interview mit meedia.de erklärte kürzlich der Münchner Polizei-Pressesprecher Marcus da Gloria Martins, um die eigene Glaubwürdigkeit zu wahren, müssten die Beamten »Ross und Reiter nennen«, also auch die Nationalitäten mutmaßlicher Täter, weil sie damit dem Generalverdacht entgegenwirkten, der Staat vertusche etwas, »weil bestimmte Informationen angeblich nicht genannt werden dürfen«.

Fanta lässt das Argument jedoch nicht gelten: »Wenn die Polizei Nationalitäten nennt, greift sie damit in den öffentlichen Diskurs ein und schafft Fakten, die von rechten Politikern genutzt werden.« Denn die Polizei bestimme durch die Auswahl der Straftaten, die sie an die Öffentlichkeit trage, und auch in den Detailinformationen, die sie preisgebe, maßgeblich die öffentliche Wahrnehmung von Kriminalität. Mit der Nennung von Herkunftsländern von Tatverdächtigen mache die Polizei Politik. Zwar war dies auch schon der Fall, als die Polizei noch keine sozialen Netzwerke nutzte, doch die Wirkung ist nun viel schneller und unmittelbarer zu sehen. »In einem demokratischen Staat sollte uns das zu denken geben«, mahnt Fanta.

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