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  • "Arbeiterbund" in München

Kampf um das »Haus mit der Roten Fahne«

Die Stadt München will nach 40 Jahren den »Arbeiterbund« aus seinem Quartier im Westend klagen

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.
In den 1970er Jahren war das Münchner Westend noch ein richtiges Arbeiterviertel. Und deshalb war es nur folgerichtig, dass sich hier der »Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD« angesiedelt hatte. Der Bund versteht sich als »Vorhutorganisation, die die Arbeiterklasse und die breiten Volksmassen zum Kampf gegen die Klassenfeinde führt«.

Etwas »old school«, würden jüngere Menschen heute sagen. Der Arbeiterbund arbeitet jedenfalls noch immer am Wiederaufbau und bei der 1. Mai-Feier sind seine Transparente auf dem Marienplatz die größten, was freilich in umgekehrtem Verhältnis zur politischen Bedeutung steht. Doch jetzt soll Schluss sein mit dem Marxismus-Leninismus im Rückgebäude der Tulbeckstraße Nr. 4.

Die Stadt München hatte – nach 40 Jahren – dem Arbeiterbund bereits zum 31. Dezember 2016 gekündigt. Doch der setzt sich zur Wehr, auch juristisch. Am 8. Juni geht der Prozess um die Räumungsklage am Landgericht München I weiter.

Früher war der Hinterhof in der Tulbeckstraße noch richtig proletarisch – mit Kopfsteinpflaster, Löwenzahn und kahlen Mauern. Im Münchner Westend lebten viele sogenannte Gastarbeiter mit ihren Familien und beim »Griechen« saßen langhaarige Menschen und tranken Retsina. Das war die Zeit, als in der Tulbeckstraße Dinge wie die »Rote Schülerfront« aus der Taufe gehoben wurden und unten in der Druckerei die »KAZ«, die »Kommunistische Arbeiterzeitung«, gedruckt wurde. Man hatte sich dabei die »Illustrierte Arbeiter Zeitung« aus den 1920er Jahren zum Vorbild genommen, ideologisch war inzwischen neben Marx, Engels, Lenin und Stalin auch Mao Tse Tung hinzugekommen.

Der Arbeiterbund ist, wenn man so will, ein heute noch lebendes Münchner Exemplar der KPD/ML-Organisationen aus den 1970er Jahren. Doch freilich, die Zeit hat sich geändert, auch im Westend. Wenn heute die Arbeiter vom Arbeiterbund zum »Haus mit der Roten Fahne« im Hinterhof gehen, müssen sie an Neubauwohnungen und den Lastfahrrädern der heutigen Bewohner aus der Mittelschicht vorbei. Und schräg gegenüber der Einfahrt ist der »Grieche« kein Grieche mehr, sondern die Gaststätte heißt jetzt »L’Adresse 37«. Es handelt sich um ein »bistro neo francais« – die Vorspeise (Artischockensuppe mit Miesmuscheln und Estragon) kostet 14 Euro, das Hauptgericht (Kaninchenfilet mit Feigen und Hummerjus) kommt mit 28 Euro daher. Und irgendwann hatte sich die Stadtratsmehrheit aus SPD und CSU gedacht, dass Kaninchenfilet mit Hummerjus und der Marxismus-Leninismus nicht zusammenpassen.

Kurzum: Die der Stadt München gehörende »Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung« kündigte die Räume in der Tulbeckstraße 4 und der Stadtrat stimmte dem Rauswurf zu. Betroffen sind davon neben dem Arbeiterbund auch der dazugehörige Verlag und die Druckerei »Das freie Buch«, die »Freie deutsche Jugend, Gruppe München« sowie der »Verlag und Verein zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung«. Gleiches gilt für die Agitproptruppe »Roter Wecker« und den nach einem Münchner Arbeiterschriftsteller benannten »August-Kühn-Verein«. Der angebliche Grund für die Kündigung: Die Stadt wolle anstelle der Hinterhofgebäude Wohnungen errichten.

Wer sich freilich vor Ort einen Überblick verschafft, dem erscheint das nicht unbedingt plausibel. Zu klein und zu verwinkelt ist das Gebäude, als dass an seiner Stelle wirklich nennenswerter Wohnraum entstehen könnte. Das meinen auch die Unterstützer des »Hauses mit der Roten Fahne«, darunter der SPD-Ortsverein Schwanthalerhöhe: »Mit Enttäuschung und Unverständnis haben wir die Entscheidung des Stadtrates der Landeshauptstadt München zum ›Haus mit der Roten Fahne‹ vom 15. Februar 2017 zur Kenntnis genommen«, heißt es in einer Stellungnahme. Denn es gebe keine stichhaltigen Argumente für eine Wohnbebauung am Platz. Und: »Wir stehen voll und ganz hinter unserem Bezirksausschuss und betrachten das ›Haus mit der Roten Fahne‹ ebenfalls als ein Stück Stadtgeschichte unserer Schwanthalerhöh’ und einen kulturellen Treffpunkt. Wir appellieren an die GWG, das Planungsreferat und unsere Genossinnen und Genossen im Planungsausschuss eine pragmatische Lösung mit dem Verlag Das Freie Buch‹ zu finden.« Die GWG ist Münchens städtische Wohnungsgesellschaft.

Auch die LINKE-Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke setzte sich ein. »›Das Haus mit der roten Fahne‹ gehört seit langem zum Bild des Stadtviertels und ist soziale Begegnungsstätte und Ort vielfältiger kultureller Veranstaltungen. Aktuell erleben wir ein Erstarken von rechtspopulistischen Gruppen und sind mit massiver Hetze konfrontiert. In diesen Zeiten sollte die antifaschistische und antirassistische Basis in der Stadt gestärkt und unterstützt werden. Die Beendigung des Mietverhältnisses kann nicht im Interesse derjenigen sein, die für Demokratie und Offenheit einstehen«, schrieb sie an Münchens Oberbügermeister Dieter Reiter (SPD).

Die Proteste gegen die Kündigung waren freilich bislang vergebens. Die Stadt beharrt auf ihrer Kündigungsklage. Dagegen wehrte sich der Arbeiterbund juristisch. Der Richter am Amtsgericht München I befand, die Kläger (also die Stadt) hätten nicht nachvollziehbar dargelegt, dass das Eckhäuschen wirtschaftlich in bezahlbaren Wohnraum umgewandelt werden könne. Stichhaltige Begründungen sollten nachgeliefert werden. Am 23. März sollte am Landgericht München I eigentlich weiterverhandelt werden, doch die Verhandlung wurde auf den 8. Juni vertagt.

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