Wut und Zorn sind gute Mittel

Alexandra von Hummel über die Arbeitsbedingungen am Theater in Chile und die Frage, ob Kunst die Welt verändert

  • Lesedauer: 4 Min.

Das Setting Ihrer aktuellen Produktion »El Hotel« mutet zunächst bizarr an. Wir befinden uns in einer Alzheimer-Klinik auf Antarktika. Insassen sind unter anderem hohe Militärs. Wie ist diese Idee entstanden?

Sie entstand in unserer Wirklichkeit. Wir zeigen, wie es ist in Chile. Es gibt tatsächlich die Geschichte eines hochrangigen Militärs, Sergio Arellano Stark, der mit ganz brutalen Morden aufgefallen ist, und der, als er sich lange nach dem Ende der Pinochet-Diktatur vor Gericht verantworten sollte, ein Attest beibrachte, dass er an Alzheimer leidet.

Er muste also nicht ins Gefängnis?

Nein. Und das, obwohl vor Gericht nachgewiesen wurde, dass er für die »Karawane des Todes« verantwortlich war.

Im Rahmen der »Karawane des Todes« unmittelbar zu Beginn der Diktatur wurden politische Gegner misshandelt und danach aus Hubschraubern ins Meer geworfen.

Aber er wurde dafür eben aufgrund des Attests nicht belangt. Hinzu kommt auch ein berüchtigter Ausspruch von Pinochet selbst. Im Zuge einer Befragung vor Gericht, als es darum ging, ob Pinochet direkt Vorgesetzter von Geheimdienstchef Contreras war, da sagte er: »Ich erinnere mich nicht daran. Es ist auch nicht wahr. Und wenn es wahr wäre, dann erinnere ich mich nicht.«

Die Krankheit des Vergessens, vorgeschoben oder nicht, verhindert also jede Aufarbeitung?

Ja, das ist das Furchtbare.

Wie sehen die meisten Chilenen die alten Junta-Chefs und ihre Handlanger? Bedauern sie sie, weil sie jetzt ja arme alte, kranke Männer sind, denen selbst das Gedächtnis verloren geht, oder regt sich Zorn?

Die Stimmung ist geteilt. Manche bedauern sie tatsächlich und meinen, dass man sie in Ruhe lassen sollte. Andere sind empört.

Wie reagierte das Publikum in Santiago de Chile auf die Aufführungen von »El Hotel«?

Wir beginnen ja mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors, also lachen die Leute viel. Es gibt auch Mitleid. Je mehr das Stück sich entwickelt, umso betroffener werden alle. Man muss allerdings auch sagen: Die Leute, die zu uns ins Theater kommen, sind eher keine Rechten.

Wie ist Ihre freie Gruppe »Teatro la María« überhaupt entstanden, und welche Arbeitsbedingungen haben Sie?

Alexis Moreno und ich haben zusammen Theater studiert. Wir waren in derselben Seminargruppe. 1999 haben wir einen Preis bei einem Studententheaterfestival gewonnen. Der Preis bestand darin, dass man eine Produktion in einem der Theater Santiagos machen konnte. Das war sehr hilfreich. Und seitdem haben wir immer weitergemacht. Ein eigenes Theater haben wir nicht, das hat keine freie Compagnie hier. Wir proben immer abends von 19 bis 23 Uhr, denn alle haben ja einen Brotjob. Wir beide lehren an der Universität. Die Schauspieler haben andere Berufe. Manchmal bekommen wir eine Förderung. Dann müssen wir aber trotzdem abends proben, wegen der Jobs des Ensembles.

Das klingt hart.

Ja, das ist es auch. Aber so sind die Bedingungen. Wir wussten das, und wir machen es.

Bedauern Sie manchmal, dass Sie damals den Preis bekommen haben und so die Weichen für die schlecht bezahlte Arbeit im freien Theater gestellt wurden?

Sie meinen, wir hätten besser Ingenieure oder so werden sollen?

Wenn Sie es so sagen.

Nein. Es ist zwar hart, aber es ist gut, dass wir diesen Weg eingeschlagen haben. Mit Theater kann man zwar nicht die Welt verändern. Wir zweifeln jedenfalls daran, dass man mit den 200 Personen, die in eine Vorstellung kommen, viel bewegen kann. Aber man kann die Köpfe öffnen, Menschen zum Nachdenken bewegen.

In den Produktionen der Gruppe spielt Gewalt oft eine große Rolle. Ist das so, weil die chilenische Gesellschaft per se sehr gewalttätig ist, oder ist das eine eigene künstlerische Setzung?

Es ist unsere Entscheidung. Wir verstehen Theater auch als Zorn, als Wut gegen Dinge, die dich stören. Wir haben keine Message, die wir vermitteln wollen. Wir wollen nur verstehen, was los ist. Und Wut und Zorn sind gute Mittel, um anzufangen. Ich denke, wenn man keine Wut hat, kommt man auch nicht voran und versteht nichts. In einem Stück frei nach Brechts »Furcht und Elend des Dritten Reiches« haben wir in jeder Vorstellung immer aufs Neue ein Fenster zertrümmert. Damals hatten wir Geld, wir waren gefördert, wir konnten uns die Fenster leisten.

Was erwarten Sie vom Gastspiel in Berlin?

Wir freuen uns natürlich darauf. Es ist das erste Mal, dass wir hier spielen, auch wenn wir die Stadt als Touristen schon etwas kennen. Wir wünschen uns, dass die Leute das Stück mögen. Das Wichtigste ist, dass die Übersetzung auch gut ist. Wir benutzen eine sehr direkte, sehr vulgäre Sprache, in der die Gewalt unmittelbar zum Ausdruck kommt.

Sie hoffen also, dass die Übersetzer nicht zu höflich sind?

Ach, ich habe da keine Sorge. Die Übersetzerin hat lange mit Alexis gesprochen. Sie haben zehn verschiedene Worte für »Scheiße« gefunden.

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