Flaneur an Abgründen

An diesem Sonnabend wäre der Regisseur Thomas Langhoff 80 Jahre alt geworden

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Ja, noch durch Tragödien konnte er - flanieren. Und alle Dramatik führte er gern auf die Urzelle sämtlichen Glücks und Unglücks zurück, die Familie. Das Zimmerschlachtfeld. Was will man mehr, um Menschheit zu erklären. Private Daten als Codes für die Kriege der Welt.

Wenn man den Namen des Regisseurs Thomas Langhoff nennt, so meint man vor allem hinreißende Schauspielerinnen - etwa Cornelia Froboess, Ulrike Krumbiegel, Monika Lennartz, Ursula Werner, Swetlana Schönfeld, Jutta Wachowiak, Dagmar Manzel, Inge Keller. Der Weiber-Regisseur. Lebenskraft und Lebensleid und Todeslust. Frauen, die sagen, dass ihnen nichts fehlt. Und alle glauben es. Dabei fehlt ihnen alles. Tapferen Frauen geht es so. Schmerzenskomödienspielerinnen.

Geboren wurde Langhoff 1938 in Zürich. Früh hineingestellt in den illustren Kreis des antifaschistischen Geistes. Er hat später erleben müssen, wie der Vater Wolfgang Langhoff - Kommunist und nach dem Krieg, bis 1963, Intendant des Deutschen Theaters Berlin - seinen gesamten Lebens- und Kunstwillen in den Dienst der Partei der Arbeiterklasse stellte und von dieser Partei zermürbt wurde. Thomas Langhoff hatte von daher wohl einen Großteil seiner Skepsis, seiner Vorsicht vor Vereinnahmung; aber er hatte von daher wohl auch sein idealisches Feuer tief innen, das er sich nicht veraschen ließ.

Dieser Regisseur hat erleben müssen, wie der strenge Kunstmaßstab des geliebten Vaters ihm den Weg ans Regiepult maßlos erschwerte. Er, damals Schauspieler mit Inszenierungsambition in Potsdam, hatte sich nach einer heftigen Kritik des alten Langhoff konsequent zurückgezogen und richtete sich im DDR-Fernsehen - wo er gute, natürlich frauenstarke Filme drehte, mit Lotte Loebinger (»Ich will nicht leisen sterben«), Käthe Reichel (»Muhme Mehle«), Jutta Wachowiak (»Befragung Anna O.«) - auf ein sozial verträgliches Durchschnittsdasein ein. Erst auf inständiges Betreiben von Albert Hetterle vom Gorki- Theater wurde der deutschen Bühne dann eines Tages ein Maßstäbe setzender Inszenator geboren. Langhoff musste zur Regie geradezu überredet werden. Sah sich als Provisorium. Blieb misstrauisch sich selbst gegenüber.

Ein relativ spät Erfolgreicher zwischen Berlin und Salzburg, München und Wien. Dem vor allem eines wichtig wurde: Freiheit von polemischen Zwängen. Er ist ein vorsichtiger Seelenabenteurer geworden. Eine fast schmerzliche Beiläufigkeit und Entspanntheit zeichnete seine besten Arbeiten aus; ein leichtfüßiges Schlendern, Trudeln an Abgründen entlang. Hauptmann (»Einsame Menschen«), Tschechow (»Drei Schwestern«) und Volker Braun (»Die Übergangsgesellschaft«) steigerten sich zu Bildern gelebter Totenstarre in einer mumifizierten DDR-Gesellschaft, aber zugleich war da eine berückende Trotzkraft fürs Offene.

Ab 1991 war Langhoff zehn Jahre Intendant des Deutschen Theaters; saß im Zimmer, wo er schon Schulaufgaben gemacht hatte. Er war als Prinzipal, aus gutwilligem Herzen heraus, ein tapferer Vereinheitlicher von Ost und West. Und: Er hat in Zeiten unerbittlicher Auflösungen einem hochkarätigen, anspruchsbewussten Ensemble den Frieden bewahrt. Nicht jedem die ihm gemäße Arbeit, aber doch allen einen Frieden, dessen Wert man erst in den Rückblicken erkannte. Sein Pech war, dass die Lebendigsten seines Hauses, als er sie am nötigsten brauchte, eigene Häuser bekamen: Castorf die Volksbühne, Heiner Müller das BE, Baracke-Chef Ostermeier die Schaubühne. Zu seinen letzten Großtaten als Intendant gehörte die Hartnäckigkeit, gegen Widerstände im eigenen Haus Einar Schleefs »Verratenes Volk« durchzusetzen; es sollte dessen künstlerisches Vermächtnis werden, und es wurde eine große Nacht des Theaters.

Ulrich Mühe hatte in einer der großen Inszenierungen Langhoffs, Ibsens »Gespenstern«, seinen phänomenalen Durchbruch, der Abend lief über zehn Jahre (!) in den Kammerspielen des DT. Von Brecht eigentlich grundsätzlich wenig angetan, entdeckte Langhoff im »Kaukasischen Kreidekreis« den räudigen Western vom Lonesome Rider; der Azdak von Klaus Löwitsch als Ehrenrettung für Egoismus - erst der nämlich gibt Kraft und Lust für Nächstenliebe. Mit »Gleichgewicht«, »Ithaka« und »Schändung« brachte er Botho Strauß hell, hart, mit klugem Gefühl und fühlender Intelligenz auf die Bühne.

Jene unscheinbaren Situationen des Alltags, den die Gleichgültigen banal nennen, konnten bei Langhoff in wenigen Momenten ergreifender sein als eine ganze Festwoche der Metaphysik. Er inszenierte Dichter so, dass man, wenn man gerade wieder alles durch die verschmutzten Brillengläser der Gewohnheit sah, plötzlich auf eine Stimmung aufmerksam wurde. So, dass man danach die Gleichgültigkeit für ein paar Atemzüge überwand, eine Einsicht um eine Nuance bereichert sah, eine Freude um ein Gran vermehrt wusste. Und einen Schmerz um eine Schwingung heftiger empfand. An diesem Sonnabend wäre Thomas Langhoff, der 2012 starb, achtzig geworden.

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