Wenn das Auto Notfalldaten funkt

Ab 1. April 2018 in Neuwagen Pflicht: das Notrufsystem eCall

  • Lesedauer: 3 Min.

Mehr als 25 000 Menschen sterben jährlich bei Verkehrsunfällen in der Europäischen Union, 135 000 werden schwer verletzt. Das neue Notrufsystem eCall soll eine schnellere Rettung ermöglichen.

Was kann eCall eigentlich?

Nach einem Unfall wählt das Auto automatisch den europaweit geltenden Notruf 112 und stellt eine Telefonverbindung zur nächstgelegenen Rettungsleitstelle her. Ausgelöst wird das über Crash-Sensoren und die Steuerung der Airbags. Melden sich die Insassen nicht, weil sie beispielsweise ohnmächtig oder schwer verletzt sind, kann die Leitstelle direkt einen Rettungseinsatz auslösen. Denn eCall übermittelt über Satellit gleichzeitig Daten zum Standort des Wagens und zur Fahrtrichtung, um bei Unfällen auf der Autobahn den Notarzt auf die richtige Spur zu bringen.

Welche Hoffnungen verbindet die EU mit dem System?

EU-Kommission und Europaparlament setzen große Hoffnung auf das System, das nach Jahren des Experimentierens nun europaweit gilt. Mit eCall werde sich die Reaktionszeit der Rettungsdienste in ländlichen Gegenden um 50 Prozent und in städtischen Regionen um 40 Prozent verringern, heißt es. Die Befürworter führen Zahlen an: Verringerung der Todesopfer und Rettung von bis zu 2500 Menschenleben pro Jahr.

Halb so lange Reaktionszeit - ist das überhaupt realistisch?

Jede Beschleunigung der Hilfsfristen lohnt. Experten nennen als Faustformel: Pro Minute sinkt bei einem lebensgefährlich Verletzten die Überlebenschance um zehn Prozent. Aber Marco König, Vorsitzender des Berufsverbands Rettungsdienst, hat Zweifel an den Angaben der EU. Im bundesweiten Durchschnitt dauert es heute knapp zehn Minuten, bis nach einem Notruf ein Retter am Unfallort ist. Eine Verringerung um 50 Prozent würde bedeuten, dass es nur noch fünf Minuten wären. Das sei kaum realistisch. Da würden ganz andere Faktoren eine Rolle spielen als nur der rasche Anruf bei der Leitstelle, etwa die Logistik der Rettungswagen. In einigen EU-Ländern lägen die Hilfsfristen bei bis zu 20 Minuten.

Welche Bedenken haben die Datenschützer?

Sie befürchten, dass das Auto zur »Datenschleuder« werden könnte. Der Sprecher der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff äußert hingegen, dass mit eCall den datenschutzrechtlichen Bedenken Rechnung getragen wurde. Der übermittelte Datensatz sei auf ein Minimum begrenzt worden. Bei korrekter Umsetzung des Systems wäre ein Zugriff von außen auf Fahrzeugdaten »nur mit extrem hohem Aufwand möglich«. Auch der ADAC betont, Autofahrer könnten nicht »getrackt« werden. Man sehe unmittelbar keinen Missbrauch des Datenmonopols.

Also doch alles eher unproblematisch?

Kritisch beäugt der ADAC die Kommunikationsdienste, die Fahrzeughersteller in eigener Verantwortung anbieten. Mercedes-Benz etwa hat schon seit 2012 eigene Notrufzentralen. Boos warnt, einige Hersteller schlössen mit ihren Kunden Verträge mit weit umfangreicheren Datenpaketen als eCall. Bisweilen gebe es Klauseln, dass das Herstellersystem bei einem Unfall Vorrang vor eCall bekomme. Der Rettungsdienstexperten Marco König fordert: Automatische Notrufe müssten immer direkt an die Rettungsleitstelle gehen. dpa/nd

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