Wo mit Nelken geschossen wird

Die Batalla de las Flores in Córdoba ist der Auftakt der spanischen Maifeste

  • Beate Schümann
  • Lesedauer: 7 Min.

Der Paseo de la Victoria ist die Hauptschlagader Córdobas. Doch am Sonntag vor dem Maifeiertag ist der »Boulevard des Sieges« gesperrt. Freie Bahn für die große Blumenschlacht. Schaulustige positionieren sich Stunden vor dem Beginn des Festumzugs an den Barrieren, um sich einen Platz weit vorn zu sichern. Die Batalla de las Flores ist der Auftakt der Maifeste.

Nirgendwo in Spanien wird der Frühling rauschhafter begrüßt als in der Stadt am Guadalquivir. Wo die Temperatur im Sommer leicht auf über vierzig Grad klettert, die Erde verdorrt und Wasser knapp wird, wird die Blume als Zeichen für sprühendes Leben bejubelt. Um zwölf Uhr donnert ein Kanonenschuss, das Signal, dass die Mutter aller Schlachten beginnt. Der Aufmarsch mit Blaskapelle und fünfzehn Blumenwagen setzt sich in Bewegung. Ab jetzt darf mit Nelken geschossen werden. Ob weiß, gelb, rot oder pink - egal. Die Blume des Volkes bekommt ihren großen Auftritt.

Schon sausen die ersten Blüten durch die Luft. Furchtlose Krieger auf den Paradewagen - Frauen in Flamencokleidern und Männer im Sonntagsdress samt Kindern - greifen in prall gefüllte Tüten und beschießen die rund 4000 Zuschauer auf den Tribünen und am Straßenrand im Sekundentakt mit leuchtenden Blütenkugeln. Im Nu fliegen einem die duftenden Geschosse von allen Seiten nur so um die Ohren. »Hallo Frühling!«, ruft eine Cordobesa lachend und lässt eine Kaskade von Nelkenköpfen auf die Umstehenden niederprasseln. Mal landen sie am Kopf, mal im Auge oder im Dekolleté. Wenn alle Schlachten so fröhlich wären, lebte die Welt in großem Frieden.

Ist der anderthalb Kilometer lange Boulevard einmal umkreist, geht der Korso in die nächste Runde. Der Asphalt verschwindet unter einem Meer aus Dianthus caryophyllus. »Die Nelke ist die Blume Córdobas, unser Symbol für Toleranz und Harmonie«, sagt Juan Serrano vom Organisationsverein und erinnert an das friedliche Zusammenleben der Kulturen während der Maurenzeit. Die städtischen Gärtnereien versorgen das Fest mit der nötigen Munition: 100 000 Nelken. Der Ursprung der Blumenschlacht geht auf das Jahr 1915 zurück. Nach einigen Unterbrechungen während der Franco-Zeit wurde sie ab 1988 regelmäßig veranstaltet.

Die Maifeste sind im Jahreskalender der alten Kalifenstadt eine Hauptattraktion. Noch am selben Sonntag lebt eine weitere Tradition auf: die Cruces de Mayo. Maikreuze haben sich gerade in jenen Gegenden durchgesetzt, in denen die Mauren zuletzt von den Christen vertrieben worden waren. Daher sehen die Cordobeses in ihnen weniger das Martyrium, als vielmehr den Frühling, das Leben, Üppigkeit. Die ersten wurden im 17. Jahrhundert zunächst in Privathäusern aufgestellt. Ab 1933 brachte man sie in die Öffentlichkeit, auf kleine Plätze in der Altstadt, in Gassenwinkel oder vor Kirchenportale.

Stadtbezirke und Kirchspiele wetteifern mit den schönsten Blüten- und Fruchtarrangements. Bruderschaften schmücken sie aufwendig in stundenlanger Arbeit, jedes Jahr anders. Nelken werden am häufigsten verwendet, verschiedenfarbige Blumentöpfe mit Geranien, dazu Hibiskus, Gerbera, Getreidegrannen, rankende Banderolen aus Orangen, Zitronen, Kaktusfeigen und Ananas. Bei den preisverdächtigen Cruces steigen abends die größten Partys, etwa an der Plaza de la Paz, der Plaza Tierra Andaluza und der Plaza Conde de Priego. Unvermeidlichen gehören dazu stets Casetas, die die Gäste mit Bier und Tapas versorgen, und ein Tanzpodest. Nachts steht die Liste der Besten fest. Ist der Rausch am nächsten Morgen ausgeschlafen, werden die prämierten Blütenkreuze in Scharen besucht und zahllose Selfies davor gemacht.

Zeitgleich beginnt die Fiesta de los Patios de Córdoba. Zur Begrüßung des Frühlings öffnen die Bewohner das Schönste, was sie zu bieten haben und sonst streng unter Verschluss halten: ihre Innenhöfe, ihre »guten Stuben«, die seit zwei Jahren auf der Liste des immateriellen Welterbes stehen. Der Patio ist wie ein römisches Atrium, eine intime Oase des arabischen Hauses, das wichtigste Zimmer in den heißen Monaten, der wassergekühlte Mittelpunkt des Familienlebens und das Schaufenster blütenreicher Wunderwerke.

Wo die Patios vor Blüten nur so überschäumen, wird auch die Frage gestellt: Wer hat den schönsten? Für den jährlichen Wettbewerb bringen die Bewohner die Leidenschaft zur Perfektion. Zwölf Monate haben sie die Atrien mit Hingabe und Geduld gestaltet, bepflanzt, gehegt, gepflegt, um zwei Wochen alle am Glück der floralen Pracht teilhaben zu lassen. Alles wird mit Zeugnissen der Fruchtbarkeit verziert - die kalkweißen Wände, Balkone, Treppen, Fenster, Sockel, Säulen, Skulpturen. Pflanzen wie Geranien, Bougainvilleas, Hibiskus, Oleander, Rosen, Malven, Levkojen, Rosmarin, Zitrusbäume haben Hochkonjunktur. Vielleicht ist es genau das, was die Bewohner der atmosphärischen, oft noch aus arabischer Zeit stammenden Häuser motiviert: Sie wollen es den sommerlichen Höllentemperaturen zeigen, der sengenden, alles verödenden andalusischen Sonne mit heiter fließenden Springbrunnen und strahlenden Bougainvilleas trotzen und ein Fest der Sinne, der Farben und Düfte feiern.

In Quartieren wie San Augustín, dem Judenviertel Judaría, San Lorenzo, Alcázar Viejo und Santa Marina, wo Córdoba von der Moderne wenig berührt ist, schlendern die Besucher von Patio zu Patio durch das engmaschige Gassennetz im Casco Viejo, der flächenmäßig größten Altstadt Spaniens. Denn hinter den Stadtmauern hat sich an der maurischen Grundstruktur kaum etwas verändert. »Stadt der Wunder« nannten die Mauren ihre Stadt schon im 10. Jahrhundert.

Geöffnete Patios sind an zwei Tuja-Zedern vor der Haustür zu erkennen oder an den langen Warteschlangen, die sich ab 11 Uhr davor bilden. Denn der Andrang ist immens. Wie etwa vor dem Haus in der Calle Marroquíes 6. Die verwinkelte Anlage wurde in den 1920er Jahren in Arbeiterwohnungen umgewandelt, die noch bewohnt oder von Künstlern genutzt werden. Rundgangartig läuft man auf Kieselboden und unter Blumendächern hindurch, an blühenden Beeten und Kübeln vorbei. Am üppigen Blütenwerk beteiligen sich alle, besonders Josefa Carvento, die schon seit fünfzig Jahren hier lebt. »Unser Patio hat die meisten Preise gewonnen«, sagt sie stolz.

Die farbigen Tontöpfe und ihre Bepflanzung sind oft gleich, und doch entstehen durch kleine Nuancen immer neue Bilder. In seinem kleinen Patio in der Calle Juan Rufo 19 hat der Keramiker José Luís Arenas eine hohe Mauer vollständig mit Geranientöpfen behängt. Nur wie gießt er die Pflanzen ganz oben? Mit dem typischen Gießtopf am langen Stiel, und er führt es vor. Seine Patio-Leidenschaft sei noch frisch, sagt Arenas. Er mache auch nicht wegen der Prämie mit, sondern aus Liebe zum Patio. Beim Restaurieren entdeckte er einen Brunnen aus arabischer Zeit, den er in die Gestaltung integriert hat.

An der Plaza del Porto liegt der Patio der Asociación de Amigos de los Patios Cordobeses. »Wir haben einen Gärtner«, erklärt Miguel Ángel Roldán die perfekte Gestaltung. Der Obmann des Vereins der Freunde der Patios hat die Ursprünge des Festes erforscht. 1921 fand es zum ersten Mal mit drei Patios statt. Heute beteiligen sich an der Blütenorgie rund sechzig, von denen vierzehn beim Concurso nicht mitmachen. »Die Zahl der Teilnehmer ist zurückgegangen«, sagt der Patio-Freund. Das belegt, wie hart der Wettbewerb ist. Er wird vom Rathaus organisiert, von dem jeder Teilnehmer 2000 Euro erhält. Das reiche knapp, um Pflanzen und Kosten zu bezahlen, so Roldán.

»Wasser, Sonne, Dünger und Pflege - von allem reichlich«, sagt Meritxell Valle. Das sei das Geheimnis ihres Patios de la Costura in der Calle Basílio 40. Die gebürtige Barcelonesa wässert ihre Pflanzen alle ein bis zwei Tage mit dem Wasser aus ihrem 800 Jahre alten Brunnen. »Ein teures Hobby«, bestätigt sie. Aber sie macht mit, weil die Blütenpracht des Patios an die alte Blüte erinnere, als Córdoba das strahlende Zentrum Europas war.

Infos¶

Mai-Feste in Córdoba:
Batalla de las Flores, 29.4.18;
Cruces de Mayo, 27.4. – 1.5.18;
La Fiesta de los Patios 1. – 13.5.18,
Eintritt frei
www.patios.cordoba.es
www.turismodecordoba.org

Spanisches Fremdenverkehrsamt:
Tel.: (030) 882 65 43
www.spain.info

Die Reise wurde unterstützt vom Spanischen Fremdenverkehrsamt.

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