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Mit Pyt und Rad durchs Fjordlandet
Der Roskilde-Fjord lässt sich per Bike entspannt erkunden. Zeigt sich der Himmel mal verhangen, Schwamm drüber – oder »Pyt!«, wie die Dänen sagen
Ein Fahrrad mit Elektroantrieb? So richtig Sinn macht das im ersten Moment nicht in einem überwiegend flachen Land wie Dänemark. Oder doch? Wir befinden uns auf der dänischen Ostseeinsel Seeland in der Region Fjordlandet, zu der der Isefjord, Holbaek Fjord, Lammefjord und Roskilde-Fjord gehören. Und bei Fjord macht es natürlich Klick. Hohe Berge wie in Norwegen erwarten uns speziell am Roskilde-Fjord nicht. Es sind eher sanfte Hügelketten, Moränen aus der Eiszeit, die den schmalen Küstensee umschließen. Ein E-Bike lohnt sich dennoch, stellen wir später selber fest.
Roskilde mit knapp 47 000 Einwohnern ist die zweitgrößte Stadt auf Seeland, etwa eine halbe Autostunde von Kopenhagen entfernt und vielen ein Begriff wegen des jährlichen Musikfestivals. Über 40 Kilometer erstreckt sich der Roskilde-Fjord mit rund 30 kleinen Inseln und Schären. Wir erkunden den südlichen Teil zwischen Frederikssund und Roskilde, der zum 170 Quadratkilometer großen Nationalpark Skjoldungernes Land gehört, Land der Schildjungen: Der alten Sage nach lebten die Nachfahren des mythischen Königs Skjold, ein Sohn des Göttervaters Odin, einst hier.
Könige und Wikinger haben im Nationalpark ihre Spuren hinterlassen. Fahrrad-Guide Henrik Stricker von Hedeland MTB Tours nimmt uns dorthin mit. Zuvor gibt es eine Übungsrunde für E-Bike-Anfänger auf dem Hotel-Parkplatz in Roskilde. Aha, die Kunst ist, nicht wie bei einem »normalen« Fahrrad zu heftig in die Pedale zu treten, sondern leicht und mit Gefühl, damit man nicht losprescht. Der Blick in den getrübten Sommerhimmel hat uns Regenjacken im Rucksack verstauen lassen. Auf dem Kopf sitzt zur Sicherheit ein Fahrradhelm, und Lina Holm-Jacobsen von der Tourismusorganisation Dänemarks gibt eine dänische Taktik mit auf den Weg: »Wenn etwas nicht gelingt, sagen wir bei uns ›Pyt!‹ und wischen es mit einem Lächeln weg. Das ist eine Mischung aus: Egal, weiter geht’s oder Schwamm drüber!«
Vorerst kommt das »Pyt!« (ausgesprochen: Pütt) auf unserer Tour nicht zum Einsatz. Ohne Zwischenfälle geleitet Guide Henrik auf Radwegen ins Zentrum von Roskilde zur Domkirche. Sara Peuron-Berg wartet vor dem gigantischen Bauwerk und erklärt die wichtigsten Fakten zum Unesco-Welterbe: »Vor 800 Jahren wurde die gotische Kathedrale erbaut. Ursprünglich war sie katholisch. Seit der Reformation im Jahre 1536 ist sie evangelisch-lutherisch.« Mindestens 40 Regenten ruhen in der imposanten königlichen Begräbniskirche: von Königin Margarete I. über Christian V. bis zu Christian III., dem ersten protestantischen König Dänemarks.
An Roskilde kommt keiner vorbei, so umschreibt es Peuron-Berg, »auch wegen der schiffsreisenden Wikinger. Im Frühmittelalter wurde der Handel oft auf dem Seeweg abgewickelt. Durch seine Lage war Roskilde eine der wichtigsten Städte Dänemarks, mit dem Fjord als Verbindung zur Außenwelt.« Bis 1443 war es dänische Hauptstadt und zuvor Königsstadt, die Wikinger vor Angreifern beschützte.
Die Nordmänner sind das nächste erklärte Ziel. Bergab lassen wir uns zum Wikingerschiffmuseum direkt am Fjord rollen. Schmiede hämmern unter freiem Himmel, Schiffe wie anno dazumal laufen in den Hafen ein. Fühlt sich an wie zwischen 790 und 1070 nach Christus, als die Wikinger lebten. Orlando West, der Vorhistorik studiert, führt uns im Museum zu fünf rekonstruierten Original-Segelschiffen: »1060 wurden sie im Roskilde-Fjord mit Steinen versenkt, um die Einfahrt für feindliche Schiffe zu sperren. 1962 hat man die Überreste ausgegraben.«
- Panoramaroute: Sie ist 29 Kilometer lang und Teil des Fjordwegs (R40), der durch schöne Gegenden rund um den Isefjord, Lammefjord, Holbaek Fjord und Roskilde Fjord führt. www.visitfjordlandet.dk/de/entdecken/die-panorama-route
- Wikingerschiffmuseum: Dänemarks Museum für Schiffe, Seefahrt und maritime Handwerke in Roskilde. Fünf rekonstruierte Wikingerschiffe kann der Besucher bestaunen. www.vikingeskibsmuseet.dk/de
- Allgemeine Infos: www.visitfjordlandet.dk, www.destinationsjaelland.dk, www.visitdenmark.de
200 bis 300 solcher Schiffe gab es, die bis Island oder Nordamerika fuhren. So weit kommen wir heute nicht, aber wir stechen selber kräftig rudernd in einem nachgebauten Wikingerschiff auf dem Roskilde-Fjord in See. Regen setzt ein. In Jacken gehüllt lassen wir uns die gute Laune nicht verderben, weichen dem Leinensegel mal links, mal rechts mit den Köpfen aus. Der Regen peitscht ins Gesicht. Möwen fliegen über uns, Enten schwimmen neben uns, das Wasser gluckert an der Holzreling. Ein unbeschreiblich schönes Gefühl von Freiheit. Durchnässt, aber vollgepumpt mit tanzenden Glücksgefühlen laufen wir nach einer Stunde wieder im Roskilder Hafen ein. Prompt hört der Regen auf. Unglaublich, aber – pyt!
Wir satteln um auf die Elektroräder, fahren auf der Panoramaroute raus aus Roskilde. 29 Kilometer ist diese lang und führt am Fjord durch Wald, Dorfidylle, Acker- und Wiesenland und mitten durch den Nationalpark Skjoldungernes Land. Über diesen erfahren wir mehr von Park-Guide Mikkel Eeg, als wir ein paar Tage später mit ihm vom Museum in Lejre, wo Göttervater Odin als Skulptur steht, zu einem Steinschiff wandern.
Lejre war in der Wikinger- und frühen Eisenzeit für mehr als 500 Jahre Königssitz, erklärt Mikkel und führt uns, vorbei an weidenden Kühen, zu einer Wiese, auf der wuchtige Steine verstreut liegen. »Das ist das ehemalige Steinschiff, eine Art Kirche. Gräber von adligen Wikingern mit Geschenken und ihren Sklaven hat man hier gefunden.« Die Grundrisse einer Königshalle zeigt er uns danach auf einer anderen Wiese. Schwer vorstellbar, wie die imposanten Residenzen der Könige in echt aussahen. Eine nachgebaute Königshalle können Besucher auf den eiszeitlichen Hügeln im »Sagnlandet Lejre« (Land der Legenden) durchschreiten.
Doch zurück zur Fahrradtour entlang des Roskilde-Fjords. Auf der Panoramaroute erreichen wir das »Sct. Hans Have Café«. Im angeschlossenen historischen Garten werden bereits seit über 200 Jahren Obst und Gemüse angebaut, verrät Direktorin Tina Unger: »So lange wie es das psychiatrische Krankenhaus in Sankt Hans gibt.« Wir streifen durch Beeren-, Obst-, Tee- und Gesundheitsgarten und kosten zum Mittag ein Ratatouille aus regionalen und eigenen Zutaten, frisches Sauerteigbrot und selbst gemachte Mayonnaise. Köchin Iben hat in einem der Café-Gewächshauser für uns aufgetischt. Mit den rankenden Weinreben über uns fühlt es sich an, als säßen wir mitten im Grünen. Hygge!
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Die nächste Radetappe beginnt eben, der Roskilde-Fjord ist neben uns und zum Greifen nah, bis das weite Land in Wald übergeht. Unebener Waldboden und kleine Steigungen erwarten uns. Die Panoramaroute in dieser Eiszeitlandschaft verengt sich zu einem Trampelpfad, der bergab und über ein Holzbrücklein führt. Hinter diesem wird es sandig, kurvig, rutschig. Puh, noch mal gut gegangen! Oder besser gesagt: Pyt! Die frische Waldluft tut der Lunge gut, das satte Grün der Buchen im Boserup-Wald den Augen. Der Ausblick von der Miniklippe über die Bucht Kattinge Vig mit menschenleerem Sandstrand toppt das Ganze.
Der Wald lichtet sich und wir radeln oberhalb des Fjords. In der Ferne grasen Pferde am Wasser, der Wind pustet übers Land und ordentlich um unsere Nasen. Ein Seeadler ist nicht zu sehen. Dafür setzt wieder Regen ein, und wir strampeln schnell nach Herslev nahe Lejre.
Pyt, pyt, pyt! Die kühle Nässe ist binnen weniger Minuten vergessen, als der heiße Kaffee vor uns dampft. Damit begrüßt uns Isabel Hansen in der kleinen »Herslev Bryggeri«, die 2004 eröffnete. Seit drei Jahren ist die gebürtige Nürnbergerin hier für Führungen, Veranstaltungen und Speisehaus zuständig, arbeitete zuvor 20 Jahre als Schulleiterin in der Gegend. »Eine Million Liter Bier produzieren wir im Jahr«, sagt sie, während sie durch die Brauerei führt. »Das ist das, was Carlsberg an einem Tag herstellt.«
- Panoramaroute: Sie ist 29 Kilometer lang und Teil des Fjordwegs (R40), der durch schöne Gegenden rund um den Isefjord, Lammefjord, Holbaek Fjord und Roskilde Fjord führt. www.visitfjordlandet.dk/de/entdecken/die-panorama-route
- Wikingerschiffmuseum: Dänemarks Museum für Schiffe, Seefahrt und maritime Handwerke in Roskilde. Fünf rekonstruierte Wikingerschiffe kann der Besucher bestaunen. www.vikingeskibsmuseet.dk/de
- Allgemeine Infos: www.visitfjordlandet.dk, www.destinationsjaelland.dk, www.visitdenmark.de
Verkauft wird im Hofladen und an Kunden in Kopenhagen, darunter Michelin-Restaurants. »Wir brauen aus Gerstenmalz vom eigenen Feld und experimentieren mit geschmackvollen Erzeugnissen der Saison: Hagebutten, Quitten, Spargel.« Heubier, Apfelbier, Weihnachtsbier oder auch Biere mit Aromen von Kakao, Kaffee und einem Hauch Lakritze sind im Angebot. Da probieren wir uns doch gerne im Gastraum »Øl & Mad« durch, der sich im hellen Industriecharme eingerichtet zeigt. Das Spargel-Bier ist außergewöhnlich, der Favorit die Quitte.
Der Gastraum füllt sich mit auffalend gut gekleideten Menschen. Kommen sie alle von ihrer Yacht, oder sind sie aus dem 100-Einwohner-Dorf Herslev? »Die meisten sind von auswärts und nehmen den Bus ab Roskilde Bahnhof«, so Hansen. »Immer am ersten Freitag im Monat laden wir zum Afterwork-Bier ein, am letzten Freitag im Monat zum gemeinsamen Essen.« Manchmal gibt es auch Konzerte wie heute.
Für heute haben wir genug erkundet und erlebt. Morgen steht die kleine wilde Naturperle Møllekrogen auf dem Plan – mit Schloss Selsø auf der Halbinsel Hornsherred bei Skibby. Nach 150 Jahren Dornröschenschlaf wurde es wieder überwiegend saniert und öffnet als Museum und klassischer Konzertort seine Tore. Nach dem Besuch dort werden wir in Hansens Eisdiele in Jägerspris vorbeischauen. Mehr als 100 Jahre alt ist Dänemarks ältester Bio-Eisladen und kredenzt feinste Eissorten. Beseelt von diesen Aussichten radeln wir zurück nach Roskilde – im romantischen Abendlicht (inzwischen ist sogar die Sonne rausgekommen) und ohne uns groß abstrampeln zu müssen, dank E-Bike und einem »Pyt!« im Hinterkopf.
Die Reise wurde unterstützt von Visit Denmark und Destination Sjælland.
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