- Reise
- Ach, Rollkoffer!
Gepäck bei Fuß: Eine Trolley-Schmähschrift
Wer behauptet, Rollkoffer hätten unser Leben einfacher gemacht, lügt. Eine kleine Geschichte über die unerträgliche Leichtigkeit der Gepäckbeförderung
Achtung! Ausgerechnet am Flughafen lauert die Mobilitätsfalle: »Baggage Wrapping« heißt das vermeintlich harmlose Angebot. Profi-Wickler legen Reise-Trolleys eine Kunststofffolie an. Echte Akkordarbeit, und in der Eile wird schon mal vergessen, Löcher für Griff und Räder in die Folie zu schneiden. Dann stehen die Globetrotter da, mit unbeweglichen Plastikbrocken und von allen guten Geistern verlassenen Gesichtern.
Selbst Schuld! Wer braucht schon Schutz für Trolleys, die aus weltraumtauglichen Hartschalen bestehen und mit ballistischem Nylon bezogen sind, ein Stoff, aus dem auch schusssichere Westen hergestellt werden? Wozu die Variationen in Farben, Formen und Preisklassen, wenn Designer- und Discounter-Modelle letztlich doch in der gleichen hässlichen Hülle verschwinden und zur original ordinären Plastiktütenästhetik zurückkehren? Wer in Stilfragen so grundsätzlich und fundamental scheitert, dem ist nicht zu helfen.
Lästiger ist allerdings der Lärm. In der Top-Ten-Liste der akustischen Unverschämtheiten kommt das Klackern, Klappern und Rappeln der Trolley-Geschwader auf Platz 2, direkt nach dem nervigen Staccato der Nordic-Walking-Stöcke. Liebe Trolley-Plagegeister, haben wir den aufrechten Gang gelernt, um mit einer Hand das Smartphone zu bedienen und mit der anderen den Trolley zu ziehen? Oder noch existenzieller gefragt: Zieht der Mensch oder schubst ihn der Trolley?
Weil der mobile Mensch in der Dauernd-unterwegs-Gesellschaft einfach nicht ohne transportables Reisemobiliar der Marke »Globetrotten leicht gemacht« existieren kann, stellte ihm die Samsonite-Fee Rollkoffer ins Schaufenster und staunt seitdem, wie schnell einst sympathische Reisetaschenträger zu Trolley-Trampel mutierten. Sie fahren anderen mit ihren ratternden Kleidersärgen über Füße, rammen sie gegen Fersen und hauen Hämatome ans Knie.
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Gern lässt man die Hintermänner auch durch abruptes Stoppen auflaufen oder fährt das Ziehwägelchen zur Stolperfalle aus – den Einsatzmöglichkeiten im öffentlichen Personen-Nahkampf sind keine Grenzen gesetzt. Besonders beliebt: Am Ende von Rolltreppen mit den Transport-Ungetümen orientierungslos stehen bleiben, damit sich die Menschen dahinter aneinander quetschen wie der Balg einer Ziehharmonika.
Mit der Erfindung der Rollkoffer hat man den Zumutungen der Welt eine besonders lästige hinzugefügt. Wen kann man dafür zur Rechenschaft ziehen? Die Frage nach der Urheberschaft ist unter Kulturwissenschaftlern umstritten. War es ein Pilot der Northwest Airlines, der Mitte der 1980er Jahre einen Koffer auf Rädern namens »Rollaboard« entwickelte oder doch der Manager eines US-Kofferfabrikanten, der seinen »Rolling Luggage« schon 1970 entworfen haben will?
Egal, denn auch im Gepäckgewerbe zählt der Erfolg, und den größten hatte die französische Firma Delsey mit einem echten Marketing-Coup. 1972 brachte sie den ersten rollenden Hartschalenkoffer auf den Markt und taufte ihr Produkt »Trolley«. Der Name wurde zum Synonym für Koffer auf Rädern, aber es sollte noch weitere zwei Jahrzehnte dauern, bis der Trolley zum Milliardengeschäft wurde.
Die anfänglich mäßige Begeisterung für den Trolley wird gern den Machos in die Cowboystiefel geschoben, denn kernige Burschen tragen ja jede Bürde selbst. Wer diesem archaischen Sozialdiktat zuwiderhandelte, wurde der Lächerlichkeit preisgegeben. Rollkofferfahren boomte erst, als Flüge billiger, Reisen häufiger und Flexibilität im Job zur Bedingung wurde. Die Kerle kapitulierten vor den Gepäckmassen. Mobilität hat unsere Männer verweichlicht.
Für die Emanzipationsbewegung der Frauen war die Rollkofferrevolution hingegen ein Sieg. Endlich können sie trotz Schwerstgepäck durch Flughafenterminals, Bahnhofshallen und Hotellobbys schweben. Vier Räder für die Unabhängigkeit. Tatsächlich? Das Trolley-Gesetz der umgekehrten Proportionalität besagt: Je zierlicher die Person, die zieht, desto größer ist der Trolley, der hinten dran hängt. Selten sitzen so viele bandscheibengeplagte Männer im selben Bahnabteil, wie in dem Moment, in dem sich eine Dame mit XXL-Trolley nähert. So verstopfen die Schwergewichte die Gänge oder lagern auf Nachbarsitzen.
Richtig komisch wird es erst, wenn Menschen auf integrierte Bildschirme starren, um Trolleyschlösser mittels Face ID zur biometrischen Gesichtserkennung zu entsperren. Sie sind jedoch längst kein so verstörender Anblick, wie die verzweifelt auf einen eingebauten Knopf klopfenden Rollkofferfahrer, die sich nicht mehr an den acht Zeichen langen Morsecode erinnern. Solche Sesam-öffne-dich-Spielereien sind wohl eher für Pianisten und Schlagzeuger geeignet oder für Menschen, die den Geduldsfaden US-amerikanischer Zollbeamter reißen sehen wollen.
Dann doch lieber selbstfahrende, via Bluetooth gesteuerte Koffer, die ihren Besitzern auf Schritt und Tritt hinterherzockeln. Wenn man sich doch einmal zu weit von seinem smarten Travel-Buddy entfernt haben sollte, schallt aus der eingebauten Lautsprecherbox ein durchdringender Distanz-Alarm. Wie wäre es stattdessen mit einem Trolley, der mit Elektromotor, Lenker, einem bequemen Sitz aus Memory-Schaum und ausklappbaren Fußstützen ausgestattet ist und Reisende mit bis zu elf Stundenkilometern durch den Flughafen bis vors Abfluggate chauffieren kann? Genial, denn jetzt kann der Macho von einst sich endlich lässig auf seinen Koffer schwingen und den Easy-Trolley-Rider geben.
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