Korruption und Konfession

In Libanon wird erstmals seit neun Jahren ein neues Parlament gewählt

  • Karin Leukefeld, Beirut
  • Lesedauer: 4 Min.

Neun Jahre ist es her, dass im Libanon zuletzt ein Parlament gewählt wurde. Ein 2017 neu verabschiedetes Wahlgesetz vertieft zwar die konfessionelle Spaltung, verspricht gleichzeitig aber auch neue Gesichter und Töne im nächsten Parlament. Beobachter erwarten dennoch keine Veränderungen in der Politik des hoch verschuldeten Landes. Saad Hariri, der im vergangenen Jahr noch Verwirrung mit seinem Rücktritt und Rücktritt vom Rücktritt stiftete, wird wohl Ministerpräsident bleiben.

Inhaltliche Ziele haben im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt, außer der Kommunistischen Partei legte lediglich die Hisbollah ein Wahlprogramm vor. Tonangebend bleiben die alteingesessenen Familien und die mit ihnen verbundenen Geschäftsleute, die den Zedernstaat wirtschaftlich dominieren. Für die einfache Bevölkerung wird sich nichts ändern. Der Libanon ist weit von einem staatlichen System entfernt. Korruption bleibt allgegenwärtig. Alle grundlegenden Aufgaben, die ein funktionierender Staat für seine Bürger erbringen müsse - Bildung, medizinische Versorgung, öffentlicher Nahverkehr, Müllentsorgung, Strom- und Wasserversorgung - funktionieren im Libanon nur auf privatwirtschaftlicher Basis.

597 Kandidaten und Kandidatinnen auf 77 Listen sind landesweit angetreten, um am Sonntag einen der 128 Sitze im libanesischen Parlament zu gewinnen. Das neue Parlament wird dann den Ministerpräsidenten wählen, der die neue Regierung leiten wird.

Das 2017 verabschiedete neue Wahlgesetz ermöglicht erstmals die Abgabe von zwei Stimmen: eine Stimme für eine Liste, eine weitere Stimme für einen speziellen Kandidaten. Unter den Listen findet sich eine Frauenliste, eine Liste ehemaliger Militärs und Listen die angeben, die Zivilgesellschaft zu vertreten. Erstmals können auch Libanesen wählen, die im Ausland leben. Neu ist auch die Überwachung der Wahlen durch ein Wahlkomitee, das von einem Richter geleitet wird.

Die nach dem Taif-Abkommen, das 1990 den 15 Jahre dauernden Bürgerkrieg beendete, festgelegte Verteilung der wichtigsten Ämter im Land an Vertreter der drei großen Religionsgruppen bleibt erhalten: Der Präsident wird von den maronitischen Christen gestellt, der Ministerpräsident von den sunnitischen und der Parlamentspräsident von den schiitischen Muslimen. Erhalten bleibt auch die Sitzverteilung unter den Konfessionen: Jeweils 64 Sitze sind für die Muslime und Christen reserviert.

Das neue Gesetz mit 15 Wahldistrikten hat die beiden politischen Lager - die sich nach dem Mord an dem früheren und Vater des jetzigen Ministerpräsidenten Rafik Hariri 2005 gebildet hatten - etwas aufgelöst. Damals waren die Bewegung des 8. März um die Hisbollah und die Bewegung des 14. März um die Zukunftspartei entstanden, die für den Libanon eine gegensätzliche politische Perspektive verfolgen. Die Bewegung des 8. März will den Libanon in einem Bündnis in der Region des Mittleren Ostens mit den arabischen Nachbarn und dem Iran in klarem Widerstand zur jeder westlichen und/oder israelischen Einmischung positionieren. Die Bewegung des 14. März sucht dagegen die Allianz mit Europa, den USA und Saudi-Arabien, das mittlerweile mit Israel kooperiert - in klarem Widerstand zum Iran. Während des inzwischen achtjährigen Krieges in Syrien unterstützte die Bewegung des 14. März die bewaffnete Opposition gegen die Regierung von Bashar al Assad. Der 8. März hingegen und insbesondere die Hisbollah unterstützen bis heute die syrische Armee.

Innenpolitisch ermöglichte allerdings eine pragmatische Annäherung der beiden Lager eine Regierung der nationalen Einheit im Libanon, in der sowohl die Hisbollah als auch die Zukunftspartei vertreten waren. Ein Übergreifen des Krieges auf den Libanon konnte verhindert werden.

Auffällig ist, dass die großen Familien, die im Libanon schon vor der Unabhängigkeit eine Rolle gespielt haben, mit Vertretern der jüngeren Generation weiterhin Präsenz behaupten wollen. Zudem haben mehr als 50 Millionäre und Großunternehmer den Wahlkampf nicht nur finanziert, sondern kandidieren teilweise auch selber. Beobachter gehen davon aus, dass sie durch eigenen politischen Einfluss ihre Geschäfte weiter sichern wollen.

Der ehemalige Umweltminister Mohammad Maschnouk kritisiert den Wahlkampf als »konfessionell bis auf die Knochen«. Das Ziel, aus dem Libanon einen überkonfessionellen, demokratischen Staat zu machen, sei in weite Ferne gerückt. Kritisch bewertet Maschnouk auch das Antreten von gleich sechs Listen der Zivilgesellschaft allein in Beirut. Offenbar hätten die Kandidaten sich nicht einigen können, wer im Falle ausreichender Stimmen ins Parlament einziehen solle. »Also hat jeder seine eigene Liste aufgemacht und keine wird genügend Stimmen erhalten.«

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