Zweierlei Biber

Freiburger Barockconsort

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Biber gibt es zweierlei. Der eine ist - das weiß jedes Kind - außerordentlich arbeitsam. Bewundert werden seine Baukünste. Er errichtet Bauwerke von erstaunlicher Größe.

Der andere Biber ähnelt dem ersten, ist aber ein erstaunlicher Mensch mit scharfem Verstand: Heinrich Ignaz Franz Biber. Dieser Biber, ein bahnbrechender, aber wenig beachteter Komponist, geboren 1644, stammt aus Böhmen und arbeitete an Höfen und für Kirchen. Mit Holz hat er insofern zu tun, als das Instrument, mit dem er sein Brot verdiente, die Geige ist, und die besteht bis auf die Saiten aus Holz. Biber war, gebunden an Häusern von Fürsten und Erzbischöfen, noch unfrei. Das unterscheidet ihn von den Bibern im Wasser und von dem jungen Mozart. Biber war ganz brav, als er in der Residenzstatt Salzburg seinen Diensten nachging. Keine Stil- und Setzart der Musik seiner Zeit, die er nicht beherrschte.

Der Komponist Biber nun in Berlin. Die Namen Biber und Bach werden heute von Musikhistorikern fast in einem Atemzug genannt. Biber, vor wenigen Jahren wiederentdeckt, sei der gewichtigste Vertreter der Vorbachzeit, heißt es. Sein Name ist neuerdings vor allem durch seine zyklischen, mit rhetorischen Mitteln arbeitenden »Rosenkranz-Sonaten« bekannt geworden. Am Mittwoch ließ das Freiburger Barockconsort im Boulez-Saal seine »Sonate tam aris quam aulis servientes« (1676) erklingen. Zehn Musikerinnen und Musiker boten zwölf meisterlich gearbeitete Stücke, gleichsam Sub-Sonaten, ein jedes klanglich von eigentümlichster Natur. Die Freiburger, weltbekannt, gewöhnlich besetzt mit bis zu 30 Leuten, spielen auf alten Instrumenten. Die beiden Trompeten, besser Zinken, haben statt Ventilen Löcher wie bei den Flöten. Ihr Ambitus ist nicht groß, aber sie erreichen Höhen wie die hohen Trompeten bei Bach. Gleich gestimmt schienen die drei Violinen, unterschiedlich hingegen die vier Violen, darunter eine mit größerem Korpus, am Kinn zu spielen, und eine Viola da Gamba. Dazu eine Laute, auch Theorbe genannt, mit zwei Griffbrettern, das eine für die Melodien, das andere für die Bässe, und Orgel/Cembalo. Hochempfindlich, dies Instrumentarium. Vor jeder Sonate mussten die Blas- und Saiteninstrumente neu gestimmt werden, bedingt auch durch die Temperaturen im Saal. Bibers Musik erlaubt verschiedene Verwendungen. Die Gruppe der Sonaten wird auch in anderen Besetzungen und Instrumentierungen aufgeführt. Hier wechseln Gruppen von vier oder fünf oder zehn einander ab. Unerhört lebendige Musik. Unterschiedlichste Charaktere kommen zur Geltung. »Musica antiqua« so sehr wie »musica nova«. Von den Tänzen der Bevölkerung hat Biber gelernt und schöpft ausgelassen aus ihnen. Selbst witzige Pointen finden ihren Ort. Zugleich eine Höhe, die der Kunstfertigkeit eines Henry Purcell in nichts nachsteht. Das Erstaunlichste: Bibers Erfindungen weisen schon auf die späteren Montagekünste Bachs. Auf engstem Raum wechseln die Dinge in Stil, Form, Tempo, Rhythmus, Ausdruck. Freilich walten imitatorische Techniken, Sequenzen, Treppendynamik à la Händel und in Ansätzen eine Polyphonie, die Bach zur Vollendung führte. Eine Lust, dem Freiburger Barockconsort zuzuhören.

Die Biber der Bäche stauen das Wasser bisweilen derart auf, dass die Melioration in Unordnung gerät, was den betroffenen Menschen nicht gefällt. Deshalb werden Biber gejagt und getötet. Der Komponist und Violinist Biber wurde nie gejagt. Und Bäume umwerfen konnte er auch nicht. Unmöglich, den Riesen Bach umzuwerfen. Als Heinrich Ignaz Franz Biber starb, war Johann Sebastian Bach erst 17 Jahre alt.

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