Ohne Schule chancenlos

ILO-Studie belegt Zusammenhang zwischen fehlender Bildung und informellen Jobs in Asien

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Ripa wohnt mit ihrer Mutter in einem Slum in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs. Zu ihrer Hütte führt ein schmaler Bambussteg, durch dessen Ritzen fauliges Wasser voller Müll, Fäkalien und toter Ratten zu sehen ist. Die 13-jährige Ripa ist alleine zu Haus. »Mein Vater ist weglaufen, als ich ein Jahr alt war, und meine Mutter arbeitet tagsüber als Hausangestellte.« Der Monatslohn eines Hausmädchens für täglich zwölf Stunden Arbeit an sieben Tagen die Woche beträgt 4000 Taka (40,60 Euro).

1,3 Milliarden Menschen oder 68 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in der asiatisch-pazifischen Region arbeiten in der informellen Wirtschaft. Das geht aus einer aktuellen Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hervor. »Informelle Arbeiter« wie Kleinbauern, Straßenhändler, Garküchenbetreiber, Hausmädchen, Näherinnen, Fischer oder Tagelöhner am Bau werden unter oft grausigen Arbeitsbedingungen ausgebeutet. Statistisch existieren sie nicht einmal - der Wert ihrer Arbeit oder Dienstleistungen zählt nicht zum offiziellen Volkseinkommen.

Ripa beginnt gerade eine Karriere als Schneiderin. Sie besucht die Schule für Straßen- und Slumkinder der deutschen Hilfsorganisation Shishu Neer. Dort hat sie auch nähen gelernt. Aber nicht etwa als Vorbereitung auf einen Sklavenjob in einer der berüchtigten Textilfabriken Dhakas, sondern um sich diese Schinderei zu ersparen. Faruque Ahmed, Koordinator von Shishu Neer, weiß: »Kinder aus armen Verhältnissen müssen zum Lebensunterhalt der Familie beitragen, daran führt kein Weg vorbei. Als Schneiderin können Mädchen wie Ripa aber wenigstens von zu Hause aus arbeiten und trotzdem weiter die Schule besuchen.«

2500 Taka (25,32 Euro) kostet die Miete für die fünf Quadratmeter große Hütte aus Bambus und durchgerostetem Wellblech, in der Ripa und ihre Mutter leben. Hinzu kommen 1000 Taka (10,12 Euro) monatlich für Strom. Wasser muss eimerweise aus einem Gemeinschaftsbrunnen herangeschleppt werden, sanitäre Einrichtungen sind Mangelware. »Eine Mafia hat sich das Land, auf dem der Slum steht, unter den Nagel gerissen«, klagt Faruque Ahmed. »Die Reichen bereichern sich selbst noch an der bitteren Armut der Armen.«

Es sind vor allem Tagelöhner, die laut ILO-Studie in der informellen Wirtschaft tätig sind. »Aber auch 50 Prozent der angestellten Arbeiter zählen zu den Informellen«, heißt es in der Studie. Zwar seien nicht zwangsläufig alle in der informellen Wirtschaft arbeitenden Menschen arm, aber »Armut ist zugleich Ursache und Folge der Informalität«.

Ein direkter Zusammenhang besteht zudem zwischen Bildung und informeller Wirtschaft. »Der Grad der Bildung ist ein Schlüsselfaktor, der den Grad der Informalität beeinflusst«, schreiben die Autoren der Studie. »Weltweit ist festzustellen, dass bei einer Zunahme des Bildungsniveaus das Niveau der Informalität zurückgeht.«

Für Hilfsorganisationen wie Shishu Neer oder auch kirchliche Hilfswerke wie Caritas und Brot für die Welt ist daher die Förderung von Bildung für Arme in den Entwicklungs- und Schwellenländern ein wesentliches Element ihrer Arbeit. »Ohne Schul- und Berufsausbildung haben die jungen Leute keine Chance, an Fortschritt und Entwicklung teilzuhaben«, betont Kardinal Charles Bo, Erzbischof von Rangun in Myanmar gegenüber der katholischen Nachrichtenagentur KNA.

In einem bescheidenen buddhistischen Waldkloster in Kambodscha werden Kinder unterrichtet. »Wir lehren Buddhismus, aber auch Rechnen, Schreiben und Lesen«, erzählt der Schulleiter und Mönch Yet Ra. Das Waldkloster in der Provinz Battambang ist Teil eines von der Umweltorganisation MLUP Baitong - einem Partner von Brot für die Welt - unterstützten Projekts zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung in Eigenregie des Dorfes Pum Thmey. Das Rüstzeug dafür heißt »Capacity Building«, also die Förderung von Fähigkeiten und Mut der Menschen zur Durchsetzung ihrer Rechte. »Sie hatten vorher keine Ahnung, wie man mit Behörden umgeht«, sagt MLUP-Baitong-Chef Sophana Om.

Ripa in Dhaka würde gerne Lehrerin werden. Ob sie das schafft, wird die Zukunft zeigen. Die Kids von der Shishu-Neer-Schule aber können auf jeden Fall schreiben, lesen, rechnen, Englisch und mit Computern umgehen. Damit sind sie in Bangladesch, wo die Analphabetenrate 28 Prozent beträgt, klar im Vorteil und haben bessere Aussicht auf vernünftige Jobs.

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