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Raum zum Spielen, Zeit zum Durchatmen

Tanja Nwokedi hat in Berlin-Köpenick einen besonderen Ort für kleine und große Menschen geschaffen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Spielplätze, Planschbecken oder Waldwiesen können nach Wahl gute Orte für kleine Kinder sein. Hinzugekommen sind seit einigen Jahren sogenannte Indoor-Spielplätze, Bällebäder oder Kindercafés, die den Eltern das Dasein etwas bequemer machen sollen. Mitunter trifft man auf Orte, die haben von allem etwas und sind doch mehr.

Einer dieser Orte befindet sich in Berlin-Köpenick inmitten der etwas vergessenen Altstadt zwischen dem historischen Rathaus und der neuen Mittelpunktbibliothek. Vor einigen Jahren fand man in den großen, hellen Ladenräumen noch Weihnachtsdeko für fast jeden Geschmack. Im Ganzjahresgeschäft lief das dann doch nicht so. Die neue Mieterin seit Ende 2015 ist Tanja Nwokedi. Sie wollte Kindern Raum zum Dasein, zum Spielen geben, sie nicht mit Reizen überfordern und überfluten, auch die Eltern zum Durchatmen einladen.

Heute kann sie von dieser Idee zwar noch nicht leben, aber je nach Nachfrage beschäftigt sie ein oder zwei Menschen, die Cappuccino zubereiten, das Bücherangebot pflegen und den Eltern der Krabbel- bis Vorschulkinder ein Gefühl der Entspannung geben. Von den Kleinsten wird das Angebot gut angenommen. Auf der großen Spielfläche mit dem glatten Holzfußboden sind nur wenige Dinge zu finden, Spielsachen und Bausteine aus Holz, kleine Podeste und Kindermöbel.

»Wäsche, Wäsche, Wäsche«, ruft ein Mädchen namens Nele immer wieder. Ein Junge im gleichen Alter, zwischen drei und vier Jahren, klappt den Spielzeugwäscheständer auf und zu und stellt ihn an einem besseren Platz erneut auf. Nele rennt zu ihrer Mutter, die mit einer Freundin gerade den Latte Macchiato ausgetrunken hat, und möchte, dass der Puppe die Jacke ausgezogen wird. Weil die Jacke auf den Wäscheständer gehört. Ein kleineres Mädchen rutscht inzwischen auf dem Hosenboden kreuz und quer durch den Raum.

Ein neuer Besucher kommt herein. Der Kopf des Einjährigen ist verschwitzt, die Schritte sind noch recht wacklig. Entschlossen führt er seine Rollente am Stock vor sich her. Kurze Zeit später schiebt er einen Kinderstuhl zum Tisch seiner Mutter. Sie stammt aus Israel und unterhält sich auf Englisch angeregt mit Tanja Nwokedi über handgefertigte Kinderkleidung, die hier auch zu erwerben ist.

Eine junge südkoreanische Frau ist mit Tochter und deren Großeltern da. Nach einem Eis beginnt sie, in einer Ecke des Raumes mit der Kleinen zu spielen. Die Großmutter streckt sich kurzerhand für ein Nickerchen auf dem Fußboden aus. Wenig später bringt Tanja Nwokedi ihr Decke und Kopfkissen. Die gesamte Situation ist typisch, denn es kommen viele gemischte Paare, Deutsche mit ihren ausländischen Partnern und gemeinsamen Kindern. Viele von ihnen wohnen nicht in unmittelbarer Nachbarschaft, die Südkoreanerin zum Beispiel kommt aus Adlershof.

»Das ist hier das neue Deutschland«, sagt Tanja Nwokedi mit strahlenden Augen. Die 44-Jährige hatte schon einige Stationen im Leben hinter sich, als sie sich entschloss, das »Sonnenkind« aufzubauen. Diesen Namen trägt das »Spiel Raum Café« in Köpenick, weil, so Nwokedi, auch die Erwachsenen ein Sonnenkind mit sich herumtragen, es aber oft vernachlässigen.

Sie selbst hat damit offenbar weniger ein Problem. Das könnte mit daran liegen, dass sie eine behütete Kindheit hatte. Ihre Mutter stammt aus Schlesien, ihr Vater aus Nigeria. In der Mensa der Hochschule der Künste in Westberlin lernten sich die angehenden Architekten kennen. Tanja und ihr Zwillingsbruder wurden in Berlin geboren, sie gingen hier in den Kindergarten. Als sie vier Jahre alt waren, übersiedelte die Familie nach Nigeria. Tanja Nwokedi erinnert sich bis heute sowohl an ihre Kindergärtnerinnen als auch an das Klettern in den Mangobäumen, worin sie ziemlich gut war. Sie kehrte 1991 nach Deutschland zurück, machte das Abitur und studierte Politikwissenschaften in London. In Berlin arbeitete sie zehn Jahre in der australischen Botschaft, zuletzt als »Senior Migration Case Officer«.

Nach der Geburt ihrer Tochter merkte sie, dass sie noch etwas anderes im Leben brauchte. Eher zufällig fand sich der erste freie und geeignete Kitaplatz in einem Waldorf-Kindergarten in Berlin-Niederschöneweide, »Waldorf im Osten mit Frauen aus dem Osten«. Nwokedi ist bis jetzt begeistert darüber, was ihre Tochter dort alles lernte. So sehr, dass sie selbst eine Ausbildung in der anthroposophisch inspirierten Pädagogik begann, die sie im kommenden Jahr abschließen wird. Im »Sonnenkind« kann sie viel davon umsetzen, sowohl in den Krabbelgruppen, die sie bereits für Eltern mit kleinen Kindern anbietet, als auch im täglichen Umgang mit Gästen aller Altersgruppen. Menschen ohne jüngeren Nachwuchs können sich hier ebenfalls wohlfühlen. Sie werden überrascht feststellen, dass Kinder gar nicht stören.

sonnenkind-koepenick.de/

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