Zölle haben sich 2025 verdoppelt

Lieferketten und Handelsströme befinden sich global im Umbruch

Die nächste Zollschranke wartet schon.
Die nächste Zollschranke wartet schon.

China ist wieder wichtigster Handelspartner Deutschlands. Im Jahr 2024 war die Volksrepublik noch durch die Vereinigten Staaten vom ersten Platz verdrängt worden. Der China-Boom in Deutschland und auch in anderen Ländern der Europäischen Union folgt dem Zollkonflikt der beiden Großmächte, wie aus einer kürzlich veröffentlichten Studie hervorgeht, die das industrienahe Institut der deutschen Wirtschaft im Auftrag des Auswärtigen Amtes in Berlin erstellte. Weil die Exporte in die USA eingebrochen sind, drängen chinesische Waren verstärkt auf den europäischen Markt.

Zuletzt ruderte die US-Regierung ein wenig zurück. Mit der Schweiz machte Präsident Donald Trump einen Zoll-Deal klar. Bereits Anfang November waren die Zusatzzölle gegen China vorerst bis Ende 2026 verschoben worden. Auch mit einigen anderen Ländern wie Vietnam schloss Washington eine Art handelspolitischen Waffenstillstand. Die relative Ruhe ändert aber nichts daran, dass die bereits eingeführten hohen Zolltarife die Weltwirtschaft durchrütteln werden. Das Thema wird daher ein Schwerpunkt des G20-Gipfels in Johannesburg werden, auch wenn die USA dem Treffen fernbleiben.

Mit dem Ende der realsozialistischen Staaten schien der national ausgerichtete Protektionismus am Ende zu sein und die Globalisierung unaufhaltsam. Der Beitritt des aufstrebenden Chinas im Jahr 2001 in die Welthandelsorganisation verstärkte diesen Trend zum »Multilateralismus«, also zu einem offenen, regelbasierten internationalen Handelssystem. Neben der Volksrepublik profitierte vor allem Deutschland als Exportnation von den offenen Handelsgrenzen. Die erste Präsidentschaft von Donald Trump, Corona-Pandemie und reißende Lieferketten sowie neue geopolitische Spannungen kehrten den Trend jedoch um. Deglobalisierung und eine Rückverlagerung der Produktion in die Nähe der Absatzmärkte nehmen zu.

Handelsbarrieren wurden zuletzt von vielen Regierungen errichtet. Meist sind sie »nichttarifär« wie beispielsweise Einfuhrhöchstmengen, technische Standards, spezifische Regeln für Nahrungsmittel oder Umweltauflagen. Mit Trumps zweiter Amtszeit sind verstärkt »tarifäre« Zollschranken hinzugekommen, wie aus einer aktuellen Studie von Allianz Trade, einer Tochtergesellschaft der Allianz mit Sitz in Paris und Hamburg, hervorgeht. Das durch den neuen Protektionismus betroffene Handelsvolumen hat sich demnach seit 2024 fast verdreifacht, vor allem aufgrund der neu eingeführten Zölle. 2024 waren dies 179, bis Oktober 2025 kamen weitere 309 Zollerhöhungen hinzu. »Das durch Handelsbeschränkungen betroffene Handelsvolumen betrifft Waren im Wert von schätzungsweise 2,7 Billionen US-Dollar«, sagt Jasmin Gröschl, Volkswirtin bei Allianz Trade. Betroffen sind mittlerweile rund 20 Prozent aller weltweiten Im- und Exporte. Haupttreiber seien neu eingeführte Importbeschränkungen.

Die exportorientierte deutsche Wirtschaft wird besonders hart getroffen: Während im Jahr 2023 nur rund zwei Prozent der Exporte von neuen Zollmaßnahmen betroffen waren, stieg dieser Anteil im Jahr 2024 bereits auf 7 Prozent. Mitte November dieses Jahres lag der Anteil bei rund 25 Prozent aller deutschen Ausfuhren.

Das Wiederaufleben des Protektionismus fällt mit einer geopolitischen Fragmentierung des Welthandels zusammen, zeigt die 34-seitige Studie von Allianz Trade. Das Unternehmen gilt als weltweiter Marktführer im Kreditversicherungsgeschäft. Insgesamt umfassen deren Expertenanalysen Märkte, auf die über 90 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts entfallen.

Die Beziehungen zwischen geopolitisch ähnlich ausgerichteten Volkswirtschaften gewinnen durch den Handelskrieg, zunehmenden Spannungen und wachsendem Protektionismus rasant an Bedeutung. »Die politische Ausrichtung spielt im Welthandel inzwischen eine sehr große Rolle«, sagt Gröschl. »Steigt die geopolitischen Distanz um zehn Prozent, führt dies zu einem Rückgang des bilateralen Handels um etwa zwei Prozent.« Das bedeutet auch: Lieferketten müssen sich anpassen.

Die weltweiten Handelsströme verlagern sich daher stärker in Richtung befreundeter oder geografisch naher Länder. »Friendshoring« und Regionalisierung zeigen sich konkret in den Zahlen: In mehreren Regionen hat der Handel innerhalb der eigenen Region im Verhältnis zur gesamten Weltwirtschaft deutlich zugenommen – besonders stark in den asiatischen Entwicklungsländern, aber ebenfalls in Nordamerika, Subsahara-Afrika und Lateinamerika. Auch der Handel asiatischer Länder, hauptsächlich Chinas, mit Lateinamerika und Afrika hat stark zugenommen.

Neben Geopolitik und Protektionismus spielt der Klimawandel im globalen Handel eine stärkere Rolle. »Das Risiko politischer oder klimatischer Schocks für internationale Handels-Drehkreuze wächst«, sagt Lluis Dalmau von Allianz Trade. Der Suez- und der Panamakanal führen die Liste der Hochrisiko-Engpässe an: Kapazitäten und Alternativen sind begrenzt, politische Risiken in fast allen Meerengen sehr hoch, und die klimatischen Risiken steigen fast überall. Das gilt für die Häfen selber sowie in der Binnenschifffahrt aufgrund niedriger Wasserstände, allen voran am Jangtse als wichtigem Handelsstrom in China. Gefährdet sind aber beispielsweise auch Donau und Rhein. Klima, Zölle, Sanktionen und Veränderungen in den Lieferketten werden die globalen Handelsströme neu gestalten, mit durchaus überraschenden Gewinnern: Die Allianz-Experten sehen die Vereinigten Arabischen Emirate, Vietnam und Malaysia als Handelsdrehkreuze der Zukunft.

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