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Die Ästhetik der Nussecke

Ulrich Seidel: Mathe macht Spaß - egal ob in Spiel, Grafik oder Musik

  • René Gralla
  • Lesedauer: 4 Min.

Schönes schaffen von bleibendem Wert - und das auf mathematischer Grundlage. Für alle, die sich einst als Matheschüler gequält fühlten, könnte das ein bisschen wie Hohn klingen.

Ja, klar! (lacht) Aber in Wahrheit wird in einer Welt, die den Regeln der Mathematik folgt, ein Universum im Idealzustand geschaffen. Nehmen Sie die Geometrie: Ein Dreieck ist ein ideales Dreieck, während in der Realität die Kanten nicht gerade und die Ecken nicht beliebig spitz sind. Und Probleme werden gelöst mit Gleichungen, die tatsächlich aufgehen.

Zur Person
Der Mannheimer Ulrich Seidel (48) ist Digital Artist. Er setzt viel daran, das weit verbreitete Vorurteil, Mathe sei dröge, zu widerlegen. Der gelernte Technomathematiker denkt sich Puzzles aus, entwirft Spiele-Apps und hat sogar einen Kanonwettbewerb zum 333. Geburtsjahres von Bach ausgerufen. Über den Reiz der Mathematik, Hermann Hesses »Das Glasperlenspiel« und das Illusionswerk des Grafikers M.C. Escher sprach mit ihm René Gralla. ⋌

Es lässt sich also viel Genuss aus den Gesetzen der Mathematik schöpfen?

Definitiv. Allein eine mathematische Lösung rauszukriegen, befriedigt ja schon mal. Und gelingt das noch in einer eleganten Operation, gewinnt das zweifellos eine ästhetische Komponente. Schon die alten Griechen hat so etwas maßlos beeindruckt.

Sozusagen eine interdisziplinäre Ästhetik von besonderem Reiz, die für viele im Verborgenen liegt?

Ja, aber man kann mathematisch determinierte Strukturen nicht allein in Kunstgegenständen, sondern auch draußen in der Natur identifizieren. Stichwort »Goldener Schnitt«. Und in der Optik einer Sonnenblume, die zur Herbstzeit ihre Samenkörner ausgebildet hat, manifestiert sich kein wirres Durcheinander, sondern ein spiralförmiges Arrangement.

Aus Liebe zur Mathematik widmen Sie sich gerne auch ungewöhnlichen geometrischen Formen.

Die Aufgabenstellung, eine Fläche lückenlos abzudecken mit Elementen aus erkennbaren Motiven, fasziniert mich stets aufs Neue. In der Fachsprache firmiert das unter »Ornamentgruppe« oder einfach »Tapetenmuster«.

Und das hat Sie auch inspiriert, Puzzles zu basteln.

Eine meiner Produktionen ergibt, nachdem die Puzzelei beendet ist, eine Herde aus grünen, gelben, roten und blauen Dinosauriern, die in verschiedene Richtungen laufen.

Und wie funktioniert das Geduldsspiel mit Ihren hölzernen Dreiecken?

Die symbolisieren leckere Nussecken, nämlich vor diesem Hintergrund: Der Bäckermeister hat ein quadratisches Blech mit unterschiedlich großen Nussecken gefüllt. Der Geselle kann nicht widerstehen und verputzt eine Nussecke, das ist das kleinste Dreieck. Er schafft es trotzdem, die verbleibenden Dreiecke wieder zu einem Quadrat zu arrangieren, so dass das fehlende Stück nicht auffällt.

Welche Intention haben Sie dabei, doch nicht nur Puzzlespaß?

Ich möchte spielerisch auf die Schönheit der Mathematik aufmerksam machen. Eben mathematische Prinzipien nutzen, um Schönes zu schaffen.

In diesem Zusammenhang fallen mir diese verrückten Grafiken des Niederländers Maurits Cornelis Escher ein, der die Betrachter mit perspektivischen Tricks foppt.

Sie meinen da sicher auch die Serie der berühmten Treppenbilder. Hinter denen steckt immer ein Paradoxon. Es basiert unter anderem auf einer geometrischen Figur, die von den britischen Mathematikern Lionel und Roger Penrose ausgetüftelt wurde.

Basierend auf solch witziger Geometrie entwickeln Sie gerade auch eine Spiele-App.

Szenario soll ein Mayatempel in Mittelamerika sein. Ornamentmuster zieren die Wände; die Gamer müssen geringfügige Abweichungen entdecken, weil das verschlüsselte Botschaften sind, die helfen, einen versteckten Schatz zu finden.

Ornamentik und Mathematik. Ein Beleg mehr, dass die Vision, die Hermann Hesse in »Das Glasperlenspiel« formuliert hat, realer ist als häufig angenommen wird.

Das war und ist ein beeindruckendes literarisches Konzept, das in gewisser Weise auf Pythagoras zurückgeht, auf dessen Ausspruch »Die Zahl ist das Wesen aller Dinge«. Pythagoras untersuchte bekanntlich den Zusammenhang zwischen Tonhöhe und Saitenlänge anhand eines Instruments mit nur einer Seite, dem Monochord. Hesse hat diese Ideenwelt zweieinhalb Jahrtausende später episch ausgemalt.

In Mathematik steckt also auch Musik drin.

Genau, und das hält mich momentan ziemlich auf Trab. Wir haben nämlich einen Kanonwettbewerb zum 333. Geburtstag von Johann Sebastian Bach laufen. Der war ein Genie der Fuge. Er variierte ein Motiv mit Transformationen, die man aus der Geometrie kennt, Rotation, Skalierung oder Spiegelung.

Welche Aufgabe haben Sie den Kandidaten gestellt?

Das Thema »Bach 333« musikalisch zu verschlüsseln. Die Preisträger gebe ich spätestens Ende Juli bekannt.

Mathematik und Musik - der »Glasperlenspiel«-Meister Hesse dürfte Ihnen aus höheren Gefilden applaudieren.

Ein Kompliment, das ich in aller Bescheidenheit annehme. (lacht)

Weitere Infos: seidel.graphics/

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