Musikalische Geschichtenerzähler

Mit »Oslo« und »Wartburg« hat das Michael Wollny Trio zwei bemerkenswerte Neuerscheinungen vorgelegt

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist nicht einfach, das Schaffen von Michael Wollny zu verfolgen. Kaum hat man ein Konzert oder eine neue CD verdaut, ist der rastlose Pianist und Komponist schon wieder auf neuen Pfaden unterwegs. Und wenn er mit einer seiner Formationen auf Tour oder im Studio ist, entstehen schon wieder etliche Skizzen für neue Stücke und neue Dialoge mit Kollegen.

Da braucht es manchmal eine Art »Befreiungsschlag«, um den Kopf und den Schreibtisch leer zu räumen, weil man Platz für Neues braucht. Und so hat das Michael Wollny Trio mit Christian Weber am Bass und Eric Schaefer am Schlagzeug in diesem Frühjahr gleich zwei neue CDs vorgelegt, die deutliche Unterschiede aufweisen.

»Oslo« ist pure Kommunikation. Kongeniale Partner sind bei drei Stücken die 22 Bläser des Norwegian Wind Ensemble, eine Art improvisierendes Orchester, das aber immer wieder mit nahezu traumwandlerischer Sicherheit zum geschlossenen Klangkörper wird. Unter dem wachsamen Auge des Arrangeurs Geir Lysne spielen sich das Trio und die Bläser die Bälle zu. So entstehen kontrastreiche, meist sehr ruhige Klangbilder und -farben, wobei das Trio immer wieder mit seiner für alles Mögliche offenen Synthese aus Blues und Romantik den roten Faden spinnt. Dabei scheint die Phase, in der Wollnys tiefe Verbundenheit mit der Romantik mitunter in mystisch-esoterische Klangwelten abglitt, glücklicherweise vorbei zu sein.

Einen etwas anderen Spirit verströmt das nur wenige Tage nach der Osloer Studioproduktion im Rittersaal der Wartburg aufgenommene Live-Album »Wartburg«. Es beginnt elegisch-verträumt mit Schaefers Komposition »Atavus« die sich schließlich zu einem rhythmischen Feuerwerk voller Synkopen und wechselnder Taktarten entwickelt. Und weiter geht die Reise: ein entrücktes Bass-Solo, ein paar Blues- und Modern-Jazz-Zitate und schließlich eine beschwingte, leichtfüßige Hommage an Paul Hindemith, alles mit fließenden Übergängen, ohne Pausen zwischen den Stücken. Prompt folgt der nächste, diesmal etwas heftigere Bruch, in Form von Sound-Eskapaden an Bass und Klavier und schließlich ein hartes, lautes, impulsives Finale. Erst beim zweiten oder dritten Anhören der CD kommt und verfestigt sich der Gedanke, dass man dies auch als eine Art Suite verstehen könnte.

War’s das? Mitnichten, denn jetzt betritt mit dem Saxophonisten Emile Parisien eine weitere Größe des modernen europäischen Jazz die Szenerie. Auch er ein musikalischer Geschichtenerzähler, der weniger den egomanischen Ausbruch als vielmehr den Dialog mit dem Trio sucht, ohne auf einige ekstatische Ausbrüche in der Tradition eines Charlie Parker zu verzichten. Doch alles wird wieder durch warme, klare Melodien und Harmonien geerdet, bevor zum nächsten Ausflug angesetzt wird, der kurz durch orientalische Gefilde streift und sich dann in fast schon gefällige Moll-Pentatonik begibt.

Am Ende als Zugabe noch ein gemeinsames respekt- und nahezu liebevolles Innehalten der vier Musiker, die hörbar diese Momentaufnahme ihres Schaffens als solitären Augenblick empfinden und genießen - und wahrscheinlich wenige Tage später schon wieder ganz woanders mit anderen Kollegen andere Musik gemacht haben.

Und so gebührt das Schlusswort zu diesen beiden musikalischen Reisen Michael Wollny, dem Kopf des Trios und Spiritus Rector dieser Begegnungen: »Man sucht, verwirft, verzweifelt und findet. Man hört zu und hört plötzlich nicht mehr das Gleiche, das gemeinsam Kraft gibt, nervt und sich ständig verändert. Das Unterschiedliche belebt, tröstet und verbindet. Und am Ende machen wir einfach etwas ganz anderes.«

Michael Wollny Trio: Oslo (Mit dem Norgian Wind Ensemble) und Wartburg (live, mit Emile Parisien). Beide erschienen bei ACT Music

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