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Wird ein neuer Radikalenerlass auf den Weg gebracht?
Gesinnungsprüfung durch den Verfassungsschutz - Hessen unternimmt Vorstoß bei Justizministerkonferenz
Bayern setzt Maßstäbe bei der Inneren Sicherheit. Das zeigte sich bereits bei der Verabschiedung des in weiten Teilen antidemokratischen Polizeilichen Aufgabengesetzes vor einigen Wochen durch den bayrischen Landtag. Nun versucht man, Bayerns restriktiven Umgang bei der Gesinnungsprüfung von Beamten bundesweit zu kopieren. Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann will am Mittwoch ein entsprechendes Papier auf der Justizministerkonferenz in Eisenach einbringen. Sie tagt quasi parallel zur Konferenz der Innenminister in Quedlinburg.
In dem Papier wird pauschal vor einem Anwachsen von Links- und Rechtsextremismus sowie islamistischem Terror gewarnt. Es häuften sich Fälle, in denen verfassungsfeindlich orientierte Personen nicht nur in die Beamtenschaft, sondern in den gesamten öffentlichen Dienst drängten. Das sei besonders gefährlich, wenn es Richter oder Staatsanwälte betreffe. Deshalb, so die CDU-Politikerin im MDR, sei ein sogenannter Radikalenerlass nötig. Bewerber sollten von Verfassungsschutzämtern auf ihre politische Einstellungen hin überprüft werden. In Bayern ist eine solche Regelabfrage seit 2016 obligatorisch. Um bundeseinheitliche Regelungen zu schaffen, sollen sich die Justiz- und Innenminister nun intensiv mit dem Thema befassen.
In mehreren Bundesländern gibt es Vorbehalte. Im rot-rot-grün regierten Thüringen, das derzeit den Vorsitz der Justizministerkonferenz hat, sieht man eine Gesinnungsprüfung kritisch. Dort werden Bewerber lediglich von zuständigen Fachgremien befragt. Im rot-grün-gelb regierten Rheinland-Pfalz und anderen Ländern schaltet man den Geheimdienst nur bei berechtigten Zweifeln an der Grundgesetztreue eines Kandidaten ein.
In der alten Bundesrepublik und Westberlin hat es schon einmal einen Radikalenerlass gegeben. Er trat 1972 in Kraft. Man wollte vor allem linksorientierte Bewerber, speziell Mitglieder der Deutschen Kommunisten Partei (DKP), aus dem öffentlichen Dienst fernhalten. Im Unterschied zu dem seit 1950 gültigen Extremistenbeschluss listete der neue, vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) unterzeichnete Erlass, keine verbotenen Organisationen auf. Um den Weg in den Öffentlichen Dienst zu versperren, genügte es, die »falschen« gesellschaftspolitischen Ansichten zu haben und zu leben.
Die Behörden mussten beim Verfassungsschutz eine Regelanfrage für Bewerber stellen. In einzelnen Fällen genügte die Teilnahme an einer Demonstration oder eine Reise in die DDR, um Verdacht zu erregen. Den Bewerbern wurden Fragen zum Privatleben gestellt, zu Freunden und Bekannten, man wollte wissen, welche Bücher daheim im Regal stehen.
Ein solches Verfahren verstieß eindeutig gegen das Grundgesetz. Bis Ende der 1980er Jahre mussten sich 3,5 Millionen Frauen und Männer auf ihre Gesinnung überprüfen lassen. Rund 10 000 »Berufsverbote« wurden ausgesprochen, sie durften weder Lehrer werden noch als Lokführer oder Briefträger arbeiten.
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