Priester missbrauchte »privat«

Erzbistum Köln muss kein Schmerzensgeld zahlen

Das Erzbistum Köln steht immer wieder im Mittelpunkt sexualisierter Gewalttaten.
Das Erzbistum Köln steht immer wieder im Mittelpunkt sexualisierter Gewalttaten.

Hans Bernhard U. ist ein Serientäter in Sachen sexualisierter Gewalt. Vor drei Jahren wurde U. vom Kölner Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der katholische Priester zwischen 1993 und 2018 mindestens neun Mädchen, darunter drei Nichten, die damals zwischen sieben und 13 Jahren alt waren, sexualisierte Gewalt angetan hat. Insgesamt wurden ihm 110 Taten zur Last gelegt. Während des Prozesses meldeten sich weitere mutmaßliche Opfer, auch aus jüngerer Vergangenheit. Eine Frau berichtete von Übergriffen noch im Jahr 2019.

Es gibt mindestens auch ein älteres Opfer. Melanie F. Ende der 1970er Jahre kam sie als Pflegekind zu Hans Bernhard U. Im Strafprozess wurde ihr Fall nicht verhandelt, da er verjährt ist. Melanie F. forderte stattdessen Schmerzensgeld vom Erzbistum Köln.

Solche Klagen gab es in den letzten Jahren immer mehr, sie kamen zustande, weil Betroffene unzufrieden waren, wie die Kirche mit ihren »freiwilligen Anerkennungsleistungen« umging. Sie waren kompliziert zu beantragen und blieben oft hinter den Erwartungen der Betroffenen zurück. 2023 erzielte ein ehemaliger Messdiener, der in den 1970er Jahren Opfer eines Priesters wurde, vor dem Landgericht Köln einen Erfolg. Ihm wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 300 000 Euro zugesprochen. Das Urteil gilt als Meilenstein, weil erstmals ein deutsches Gericht die institutionelle Verantwortung der Kirche für solche Verbrechen anerkannt und eine erhebliche Entschädigung zugesprochen hat. Bei anderen Prozessen lehnten Gerichte die Schmerzensgeldansprüche allerdings wegen Verjährung oder schon geleisteter Zahlungen ab. Das Bistum Mainz einigte sich vor wenigen Tagen mit einem Opfer, das geklagt hatte, auf die Zahlung von 340 000 Euro und ersparte sich damit eine mögliche Verurteilung.

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Im Fall von Melanie F. sieht sich das Erzbistum Köln als nicht verantwortlich an. Man erkennt zwar die Taten an und bedauert sie, Hans Bernhard U. habe aber als Privatperson gehandelt. Die Pflegekinder seien keine Angelegenheit der Kirche. Eine irritierende Argumentation, wie auch die Betroffenen-Initiative »Eckiger Tisch« findet. Schon vor knapp einem Jahr, als der Schmerzensgeldprozess begann, schrieb die Initiative in einer Stellungnahme: »Die Argumentation, dass der Missbrauch in der Freizeit des Priesters stattgefunden habe, halten wir für inkorrekt, denn das Amtsverständnis für einen Katholischen Kleriker ist umfassend.« Die Trennung zwischen dem Verbrecher und dem Priester bezeichnete der »Eckige Tisch« als »absurd«. Auch die Richter*innen wurden von der Initiative kritisiert, weil sie auf die Anhörung von extra angereisten Kirchenrechtlern verzichteten.

Abseits der Frage, ob zwischen Priester und Privatperson unterschieden werden kann, ging es in dem Verfahren auch darum, wie sich die Kirche zum ungewöhnlichen Schritt des Geistlichen, Pflegekinder aufzunehmen, positioniert hat. Lange war im Verfahren davon die Rede, dass die Kirchenleitung ihm empfohlen habe, eine Haushälterin anzustellen. Nach Unterlagen, die der »Eckige Tisch« und die Anwälte von Melanie F. nun entdeckt haben, war die Anstellung einer Haushälterin aber nicht bloß angedacht, sondern eine Bedingung für die Aufnahme der Pflegekinder. Eine Haushälterin, die die Taten von Hans Bernhard U. hätte entdecken können, wurde nie eingestellt. Weil das Erzbistum Köln das Dokument, aus dem dies hervorgeht, nicht zu den Gerichtsakten gegeben hat, erstatteten die Anwälte von Melanie F. und Matthias Katsch vom »Eckigen Tisch« vor wenigen Tagen Anzeige wegen des Verdachts auf versuchten Prozessbetrug gegen Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki.

Die Anzeige war am Dienstag, als das Kölner Landgericht die Klage von Melanie F. abwies, kein Thema. Das Gericht folgte der Argumentation des Erzbistums und stellte fest, dass der Priester »mehr oder weniger als Privatperson« gehandelt habe. Ob die Kirche Bedingungen für die Aufnahme der Pflegekinder gestellt habe, sei auch nicht relevant. Der Aufnahme von Pflegekindern liege ein staatlicher Akt zugrunde, deswegen scheide ein Zusammenhang zur kirchlichen Tätigkeit aus. Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative »Eckiger Tisch« zeigte sich nach der Verkündigung der Gerichtsentscheidung »entsetzt«. »Dieses Urteil ist ein Schlag für alle Betroffenen, die ihre Hoffnungen in den Rechtsstaat gesetzt haben«, sagte Katsch der Deutschen Presse-Agentur. Er sei »ziemlich sauer über diese Argumentation und auch über die Kaltschnäuzigkeit in der Begründung«, so Katsch.

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