Macrons Sieg auf der Schiene

Französische Gewerkschaften konnten umstrittene Bahnreform nicht abwenden

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Eisenbahner Frankreichs müssen eine schwere Niederlage einstecken. Mit ihrem Streik, der seit Anfang April läuft und bei dem auf jeweils zwei Streiktage drei Tage mit normalem Verkehr folgten, konnten sie die von Präsident Emmanuel Macron gewollte Bahnreform nicht verhindern. Am Mittwoch und Donnerstag wurde das entsprechende Gesetz von beiden Kammern des Parlaments verabschiedet. Im Senat beim letzten Votum gab es eine breite Mehrheit von 245 zu 82 Stimmen. Verkehrsministerin Elisabeth Borne kündigte an, ab Freitag mit den Sozialpartnern über die Umsetzung der neuen Regeln zu verhandeln.

Wie schon die Arbeitsrechtsreform, die Macron im vergangenen Jahr ungeachtet der Gewerkschaftsproteste durchgesetzt hat, dient auch die Bahnreform dazu, die Wirtschaft im Interesse der Konzerne zu liberalisieren und das System der sozialen Absicherungen weiter zu demontieren. So schreibt das Gesetz fest, gemäß einer EU-Richtlinie den französischen Bahnmarkt für die Konkurrenz zu öffnen und dafür die Staatsbahngruppe SNCF in eine staatseigene Aktiengesellschaft umzuwandeln. Die Reform soll es der SNCF auch ermöglichen, »die Bedingungen für die Einstellung und Beschäftigung von Personal zu ändern«, heißt es im Gesetz. Das Ziel ist klar: den mit gewissen sozialen Vergünstigungen wie einer lebenslange Beschäftigungsgarantie und einem vorzeitigen Rentenalter verbundenen, für das Unternehmen vergleichsweise kostspieligen Status der SNCF-Eisenbahner zu ändern.

Ab Inkrafttreten der Reform am 1. Januar 2020 werden neue Mitarbeiter nur noch zu »arbeitsmarktüblichen« Bedingungen eingestellt. Der im Gesetz vorgesehene Wettbewerb dürfte sich in der Praxis auf die modernen und wirtschaftlich interessanten Fernstrecken beschränken. Für die defizitären Nebenstrecken ist vorgesehen, dass komplette Regionalverkehrsnetze an die SNCF oder einen in- und ausländischen Konkurrenten vergeben werden und die Regionen deren Betrieb subventionieren. Die Ausschreibungen sollen Ende 2019 beginnen, bevor ein Jahr später die Vergabe erfolgt. Übernimmt ein privater Konkurrent ein Regionalnetz, müssen auch die bisher von der SNCF eingesetzten Züge und Eisenbahner an diesen überführt werden - die Technik leihweise und die Mitarbeiter zu den bisherigen Bedingungen.

Im Vorfeld der Reform hatte die Regierung zwar »Konsultationen« mit den Gewerkschaften angesetzt, gleichzeitig aber klargemacht, dass die Kernpunkte »nicht verhandelbar« seien. Darum wurden diese Gesprächsrunden von den meisten Gewerkschaften bald boykottiert. Nur die reformbereiteren Dachverbände CFDT und UNSA blieben und wurden von der Regierung, die sich dadurch eine Spaltung der Front der Eisenbahnergewerkschaften erhoffte, damit belohnt, dass sie einige ihrer Änderungsanträge übernahm. So ist jetzt beispielsweise festgehalten, dass ehemalige SNCF-Eisenbahner, die zu privaten Unternehmen wechseln müssen, nach zwei Jahren zurückkehren können, wenn sie mit den Bedingungen bei ihrem neuen Arbeitgeber unzufrieden sind. Vorausgesetzt, bei der SNCF ist ein entsprechender Arbeitsplatz vakant. Auch wurde festgeschrieben, dass die zu 100 Prozent dem Staat gehörenden Anteile an den SNCF-Aktiengesellschaften »unveräußerbar« sind. Damit werden Befürchtungen entkräftet, die Umwandlung in eine AG sei der Einstieg in eine Privatisierung.

Der harte Kurs von Präsident Macron hat sich letztlich durchgesetzt - trotz der längsten Streikwelle seit Jahrzehnten in Frankreich. Obwohl das Gesetz beschlossen und die Reform unabwendbar ist, haben die Eisenbahnergewerkschaften jedoch entschieden, ihre Streikaktion bis zum geplanten Ende am 28. Juni fortzusetzen. Die Streikbeteiligung ist allerdings aufgrund der empfindlichen Lohneinbußen im Laufe der Auseinandersetzung stetig zurückgegangen. Haben anfangs durchschnittlich 48 Prozent aller Eisenbahner gestreikt und sogar 77 Prozent der Lokführer, sind es heute nur noch 12 beziehungsweise 49 Prozent.

Die Streikenden müssen auch mit Anfeindungen leben, denn ihre Aktion ist nicht allzu populär. Umfragen zufolge haben 57 Prozent der Franzosen kein Verständnis für den Widerstand der Eisenbahner gegen die Reform, die ihrer Meinung nach gut und notwendig ist. An dieser Stimmung haben die Medien einen nicht unbeträchtlichen Anteil - sie verbreiteten fast durchweg unkritisch die Argumente der Regierung.

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