Wie es bei der Essener Tafel heute aussieht

Zwei Monate nach Ende des Aufnahmestopps von Ausländern bei der Essener Tafel scheint dort wieder Normalität eingekehrt zu sein

  • Dennis Pesch
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei der Essener Tafel zur Stoßzeit jemanden ans Telefon zu bekommen, ist nicht leicht. Nach dem vierten Versuch hebt Rita Nebel ab. Sie sitzt als Schriftführerin im Vorstand der Essener Tafel und ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Die Geräuschkulisse im Hintergrund verrät, dass an der Hauptauslagestelle am ehemaligen Essener Wasserturm viele Menschen anstehen, um sich Gemüse, Brot und andere Lebensmittel abzuholen. Sie muss erst mal aus dem Trubel raus. Nebel fasst sich kurz: »Alles in Ordnung, alles gut«, sagt sie mehrmals. Die Normalität an der Essener Tafel sei zurück, der Aufnahmestopp von Menschen ohne deutschen Pass seit zwei Monaten aufgehoben. »Wir machen keine Unterschiede mehr und nehmen es so wie es kommt«, erklärt sie.

Eine Einschränkung muss sie dann aber doch machen. In den Gesprächen mit dem Sozialdezernenten der Stadt Essen und den Migrantenselbstorganisationen, wurde die Zielgruppe der Essener Tafel definiert. Es gibt nun Prioritäten bei der Aufnahme. Seit Mai werden Alleinstehende über 50 Jahren, Schwerbehinderte, alleinerziehende Elternteile und Familien mit Kindern bevorzugt. Menschen, die unter 50 sind, beispielsweise Studierende oder Hartz-IV-Bezieher*innen können auch abgewiesen werden und erhalten nur eine Aufnahme für zunächst drei Monate. »Wenn wir Platz haben, nehmen wir die Leute auch auf«, ergänzt Nebel. Nach der Nationalität werde allerdings nicht mehr unterschieden.

Jörg Bütefür von der Unabhängigen Hartz-IV-Beratung in Essen begrüßt es, dass die Essener Tafel wieder Menschen ohne deutschen Pass aufnimmt. Zu dem Aufnahmestopp damals sagt er: »Das war Rassismus. Wie da rumgeeiert wurde, fand ich erbärmlich.« Er meint das Verhalten der Stadtspitze, von Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) bis hin zu Sozialdezernent Peter Renzel (CDU), als der Aufnahmestopp im Februar öffentlich wurde. Beide standen an der Seite der Tafel, verteidigten die Maßnahmen. Noch heute ist Bütefür verärgert. Seine Stimme zittert ein wenig, wenn er darüber spricht. Er sagt, dass das Krisenmanagement versagt habe: »Dass man da nicht vorher mal mit den Migrantenselbstorganisationen kommuniziert hat, kann ich nicht verstehen«, kritisiert er.

In seinen Beratungen trifft er auch viele Menschen, die auf die Tafel angewiesen sind. Zur derzeitigen Situation bei der Essener Tafel kann er jedoch nicht viel sagen. Das hat auch einen guten Grund: »Wir haben im Moment das Pech, dass die Ausgabestellen der Essener Tafel, wo ich die Beratung mache, geschlossen worden sind. Ein großer Versorger ist abgesprungen«, sagt er. In den Stadtteilen Überruhr und Rüttenscheid wurden zwei Ausgabestellen dichtgemacht. Tafel-Vorstand Nebel erklärt: »Eine Firma, die uns vorher beliefert hat, ist nach Herne umgezogen.« Weil Bütefür die Menschen aus seiner Beratung nicht allein lassen will, organisieren sie mittlerweile Food-Sharing, um den Hartz-IV-Beziehern zumindest kurzfristig unter die Arme zu greifen.

Dass alleinstehende Personen unter 50 von der Essener Tafel abgelehnt werden, kann er nicht verstehen. »Das ist sehr problematisch«, kritisiert er. »Alleinstehende haben oft kaum noch Familie und nur wenige Menschen, die sie unterstützen«, so Bütefür. Es gehe bei den Tafeln im Wesentlichen darum, Leuten, die unversorgt sind, ein Trostpflaster zu geben.

Aus seiner Sicht ist das auch ein Versagen des Sozialstaates: »Es muss darum gehen, den Leuten das Geld zu geben, um sich ausreichend und vernünftiges Essen zu kaufen«. Mit Hartz IV gehe es niemandem gut. Die Kompetenz zu entscheiden, wer »für die Tafel bedürftig genug ist und wer nicht«, gibt es aus seiner Sicht nicht. In seinen Beratungsstunden betreut er auch viele Migranten und Geflüchtete. Froh ist er zumindest darüber, dass sie ihm berichtet haben, von der Tafel nicht mehr abgewiesen worden zu sein.

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