Tack und Taka-Tuka

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 4 Min.

Schweden hat - wenigstens ein bisschen - die deutsche Nationalelf nach Hause geschickt. Dafür erst mal ein dickes Tack! Einziger Wermutstropfen: Zlatan »Ibra« Ibrahimović war nicht dabei. Er hatte sich selbst für die Männerfußball-Nationalelf ins Gespräch gebracht, wurde aber nicht nominiert. Zu alt, sagen die einen. Zu ego, meinen andere. Ibra selbst sagt: »Ich bin wie ein Wein. Je älter, desto besser.« Und nach dem Spiel gegen Deutschland und vor der Partie Schweden-Mexiko: »Ich fand es schwierig zuzuschauen, weil ich das Gefühl hatte, dass ich es viel besser kann als sie. Das denke ich immer noch.«

Alle in meinem Umfeld, die etwas vom Fußballsport verstehen, behaupten, die Mannschaft sei ohne Ibra besser dran. Mag sein. Und die Tatsache berücksichtigend, dass es auch eine sportliche Leistung brauchte, um Kroos, Müller und Co. aus dem Turnier zu verabschieden, ist das natürlich ein Argument. Ich vermisse Ibra dennoch schmerzlich. Nicht nur, weil er unverschämt gut aussieht und ein Vorreiter des Hautbilder-Zeigens war, das in dieser Zeitung bereits ausgiebig besprochen wurde. Nein, meine tiefe Verbundenheit rührt vor allem daher, dass Ibra alles konterkariert, was die Mitteleuropäer so gerne in das skandinavischste aller skandinavischen Länder hineinfantasieren.

Denn Schweden ist seit Jahrzehnten ein Sehnsuchtsort für geplagte Deutsche, vor allem die linksbewegten unter ihnen: Frieden (wer weiß schon noch, wofür Schwedens Armee im 17. Jahrhundert stand ...) und Wohlfahrt und Bullerbü-Kindheiten in roten Spitzdachhäuschen. Industrialisiert und trotzdem fair, weil Volksheim eben. Fröhliche, aber doch bescheidene Menschen - und irgendwas mit Olof Palme, dem John F. Kennedy Europas. (Fun Fact am Rande: Mit Palme begann der Niedergang der schwedischen Sozialdemokratie, der Vater des Wohlfahrtsstaates war Per Albin Hansson, und den wiederum kennt außerhalb Schwedens keine Sau.)

Auch für jene Ossis, die sich nach der Wende einen Rest klassenbewussten Anstands erhielten, galt Schweden als hoffnungsvolles, weil nicht gar so verderbtes Alternativmodell zum Kapitalismus US-amerikanischer Prägung. Und selbst die Ausländer zu integrieren hat das Land der Elche und Köttbullars vollbracht - das erzählt man sich unter denen, die finden, dort werde doch quasi seit jeher und für immer »kluge, sozialdemokratische Politik« gemacht.

Ibra ist die Verkörperung des Gegenteils all dieser Projektionen. Großmäulig und undankbar. Weder freundlich noch friedlich, sondern anmaßend arrogant. Er ist keiner der ewig grinsenden Per-Åke-Typen, und dass er keine Bullerbü-Kindheit genossen hat, weiß jeder. Denn das zweitliebste Thema von Zlatan »Ich kam als König und gehe als Legende« Ibrahimović ist - nach seiner eigenen Großartigkeit - die Herkunft aus Malmö-Rosengård, dem Berlin-Neukölln des Nordens.

Das Verdienst des schwedischen Fußballs geht also weit über das Rauskicken der deutschen Mannschaft hinaus. (Ich weiß: Dafür war auch das Zutun Mexikos und Südkoreas nötig, aber die Tore fielen spät, drum ist Schwedens Mannschaft für mich der Rausschmeißer der Herzen.) Es besteht, dank Ibra, darin, ein nervtötend romantisierendes Schwedenbild, wenn schon nicht zerstört, dann doch wenigstens irritiert zu haben. Wie sagen doch all die klugen Kommentatoren nun, da der Weltmeister ausgeschieden ist: Fußball ist ein Spiegel der Gesellschaft. Und wer in den schwedischen Fußball-Spiegel schaut, dem grinst dort noch immer Ibra entgegen. Auch wenn dem Vernehmen nach die schwedische Nationalelf ganz gerne aus dessen Schatten treten würde.

An dieser Stelle eine Anmerkung: Einen Aufritt, wie ihn Jimmy Durmaz nach dem gegen ihn gerichteten rassistischen Shitstorm (übrigens hinreichender Beleg dafür, dass in Schweden genau die gleichen Idioten leben wie überall auf der Welt) hinlegen musste, hätte es mit Ibra nicht gegeben. Durmaz las von seinem Handy eine Erklärung ab, die besagte, dass er ein stolzer Schwede sei und wie toll sie doch alle zusammenhalten.

Meine Fresse! Wenn das so weitergeht, degeneriert die Truppe, deren Image mehr als ein Jahrzehnt von Ibras absoluter Unversöhnlichkeit geprägt war, zu dem Friede-Freude-Eierkuchen-Verein, der die deutsche Mannschaft schon ist. Dort redet man seit Lukas Podolskis Rücktritt wirklich nur noch mit in Kommunikationstrainings erlernten Satzbausteinen, die alle zum Einschlafen bringen. Braucht kein Mensch. Daher mein Rat an Schweden: Ibra zum Fußballnationaltrainer machen - für Kommunikation und das Sportliche.

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