Israels neue Gazastrategie

Hardliner in der Knesset wollen die Stadt isolieren, andere setzen auf eine Lösung via Zypern

  • Oliver Eberhardt, Jerusalem
  • Lesedauer: 4 Min.

In Gaza-Stadt blieben am Mittwoch viele Läden geschlossen. Wo geöffnet war, hätten sich die Regale schnell geleert, berichtet Mahmud Zoabi von der Handelskammer in Gaza. »Die Leute kaufen, was sie bekommen und bezahlen können,« sagt er. Denn am Montag hat Israels Regierung den Übergang Kerem Schalom schließen lassen. Über das Grenzterminal im Dreiländereck Gaza-Israel-Ägypten wird nahezu der gesamte Güterverkehr aus dem und in den Gazastreifen abgewickelt.

Nun dürfen offiziell nur noch medizinische Güter und Nahrungsmittel in den dicht bevölkerten Landstrich eingeführt werden. Vor allem die Vereinten Nationen beklagen, dass das ohnehin schon extrem komplizierte Einfuhrsystem nun fast undurchschaubar geworden ist. Damit will Israels Militär verhindern, dass Mittel für den Waffenbau eingeführt werden. So abrupt sei die Schließung des Übergangs gekommen, dass es den israelischen Regierungsmitarbeitern vor Ort an klaren Handlungsanweisungen fehle. Ergebnis: Man lässt erst einmal alle Lieferungen warten.

Und so kommt es im Gazastreifen nun zu Hamsterkäufen. Aber vor allem geraten die wenigen Unternehmen unter Druck, die es im Gazastreifen nach drei Kriegen und Jahren langen Blockaden noch gibt. Fast alle davon seien vom Export abhängig, sagt Zoabi, und keines dieser Unternehmen habe eine dicke Finanzdecke, unter der es sich länger als eine oder zwei Wochen aushalten lässt. Schon in wenigen Tagen sei deshalb mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen, die bereits jetzt bei über 60 Prozent liegt.

Israels Regierung reagierte mit der Schließung des Übergangs auf die seit den Protesten im Frühjahr verstärkt eingesetzte Taktik, Winddrachen aufsteigen zu lassen, an denen Brandsätze befestigt sind. Nach Angaben der Feuerwehr in der Region sind seitdem Felder mit einem Umfang von bis zu 20 Quadratkilometern abgebrannt. Israels Militär wird den Winddrachen, die rudimentär aus Stöcken, Papier und Plastik zusammen gebastelt werden, nicht Herr.

Auch die Fischereizone vor der Küste Gazas wurde nun von neun auf sechs Seemeilen eingeschränkt. Aus Protest gegen die Maßnahme versuchte am Dienstag ein Schiff, begleitet von Fischerbooten, die Seeblockade zur durchbrechen; man sei auf dem Weg nach Zypern, hieß es in sozialen Netzwerken im Internet. Doch kurz hinter der Sechs-Seemeilen-Zone wurden die Boote von der israelischen Marine aufgehalten.

Man werde von nun an im Gazastreifen hart durchgreifen, hatte Regierungschef Benjamin Netanjahu am Montag während einer Sitzung der Likud-Fraktion gesagt. Vor allem rechte Abgeordnete begrüßten die Schließung: Massiver wirtschaftlicher Druck werde die Bevölkerung gegen die Hamas aufbringen und sie in die Knie zwingen, so ihr Kalkül. Israels Militär und Geheimdienste warnen mittlerweile sehr offen mahnen, dass dieses Szenario zum einen unwahrscheinlich ist, und zum anderen dass die realistische Alternative zur Hamas nicht die offizielle palästinensische Regierung in Ramallah ist, die im Gazastreifen über sehr begrenzten Rückhalt und Strukturen verfügt, sondern eine Machtübernahme durch eine noch radikalere, Israel noch feindlicher gesonnene Gruppe.

Der UNO-Sondergesandte Nikolai Mladenow erinnerte zudem an Studien der Weltgesundheitsorganisation, die zu dem Ergebnis kommen, dass der Gazastreifen schon bald, möglicherweise bereits in zwei Jahren, unbewohnbar geworden sein könnte: Man müsse dringendst Wege finden, die Situation der Menschen dort zu verbessern.

Diese Sichtweise wird auch durchaus von israelischen Regierungsmitgliedern geteilt. Vor allem Transport- und Geheimdienstminister Israel Katz drängt auf Schritte zur Verbesserung der humanitären Situation. Und noch vor gut zwei Wochen hatte es auch so ausgesehen, als sei zumindest eine teilweise Lösung in Sicht.

Israels Regierung stellte einen Plan vor, demzufolge Warenlieferungen für Gaza auf Zypern abgefertigt und dann per Schiff in den Gazastreifen weiter transportiert werden sollen. Dafür würden auf Zypern und in Gaza Hafenanlagen errichtet werden. Bedingung: Die Hamas solle die Leichen von getöteten israelischen Soldaten übergeben und gegen die Winddrachen vorgehen. Die Regierungen Zyperns und Palästinas zeigten sich aufgeschlossen; die Hamas lehnte den Plan allerdings ab.

Am Mittwoch reiste eine Delegation der Hamas allerdings überraschend zu einem Gespräch mit ägyptischen Geheimdienstvertretern in Kairo. Am Tag zuvor hatte Präsident Abdel Fattah al-Sisi erklärt: »Ich habe angeordnet, dass alles getan wird, damit die Probleme im Gazastreifen gelöst werden.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal