Kriegsforschung, zivil getarnt

Militär und Rüstungsindustrie bekommen einen immer größer werdenden Einfluss auf die Wissenschaft

  • Cornelia Mannewitz
  • Lesedauer: 7 Min.

Bereits 2010 begann eine Diskussion über Geheimhaltung bei Militärforschung. In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur »Rolle der Hochschulen in der staatlich geförderten Rüstungs- und militärrelevanten Sicherheitsforschung« waren zum ersten Mal Geheimhaltungsvermerke aufgetaucht: Das Verteidigungsministerium hatte die Antworten aus Sicherheitsgründen als »VS - Nur für den Dienstgebrauch« eingestuft. Dabei ging es um Forschungsthemen, Drittmittel und die Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung.

Nach öffentlicher Kritik zeigen sich neuere Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen etwas offener: 2016 wurde Auskunft über die Themen von Verbundprojekten gegeben. Dabei haben solche Kooperationsprojekte inzwischen ein beachtliches Ausmaß. Von 2014 bis 2017 wurden an 27 Hochschulen Forschungsaufträge des Bundesministeriums der Verteidigung vergeben, die teilweise einen Umfang von mehr als 1 150 000 Euro hatten - ohne dass der Öffentlichkeit der Verwendungszweck genannt wurde. Die Bundesregierung gibt an, diese Informationen könnten nicht veröffentlicht werden, »da sie detaillierte Rückschlüsse auf vorhandene Fähigkeitslücken in Bezug auf Verfahren und Ausrüstung der Bundeswehr« zuließen. »Aufgrund der damit verbundenen nachteiligen Auswirkungen auf die sicherheitsempfindlichen Belange der Bundeswehr kann dem Wunsch nach einer öffentlich frei zugänglichen Liste mit Forschungsaufträgen des BMVg ... nicht entsprochen werden.«

Die Autorin

Dr. Cornelia Mannewitz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Slawistik der Universität Greifswald, Mitglied des Geschäftsführenden Landesvorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Mecklenburg-Vorpommern und Mitglied des Bundesfachgruppenausschusses Hochschule und Forschung der GEW. der hier veröffentlichte Text ist die leicht gekürzte Fassung eines Artikels, der in der Zeitschrift »W & F« (Wissenschaft und Frieden« erschienen ist.

Die vor 35 Jahren gegründete, von zahlreichen friedenspolitischen Initiativen herausgegebene Zeitschrift beleuchtet kritisch die Beziehungen ziviler und militärischer Forschung und Technik. Um die Ambivalenz von Wissenschaft und ihren Ergebnissen in diesem Spannungsfeld dreht sich ein Themenschwerpunkt im jüngsten Heft mit dem Titel »Wissenschaft im Dienste des Militärs?«.

Zum Weiterlesen:
wissenschaft-und-frieden.de

Hochschulen nach den Gesetzen der Wirtschaft

Die Abhängigkeit der Hochschulen von Forschungsgeldern, die von außen kommen, ist das Einfallstor für Forschung im Dienste des Militärs. Zivil-militärische Ansatzpunkte in den Forschungsprogrammen der EU und des Bundes zeigen das auch auf struktureller Ebene.

Die Geheimhaltungsforderungen der Wirtschaft und des Militärs entsprechen einander ebenfalls: Was in der Wirtschaft Geschäftsgeheimnisse sind, nennt das Verteidigungsministerium Sicherheitsinteressen. Immer noch aktuell ist, was die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern 2012 auf eine Kleine Anfrage nach Offenlegung von Kooperationsverträgen zwischen Hochschulen und Unternehmen antwortete: »Eine derartige Veröffentlichungspflicht berührt die Grundrechte der Beteiligten, insbesondere Forschungsfreiheit, Berufsfreiheit und Vertragsfreiheit, und erfordert eine gesetzliche Ermächtigung, die derzeit nicht besteht.«

Die Bundesregierung verfolgt seit 2006 eine Hightech-Strategie. Eines ihrer Programme ist »Industrie 4.0«. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung sagt dazu: »Ziel ist es, ... auf der Grundlage der erfolgreichen deutschen Industriestruktur neue intelligente und wissensbasierte Produktionsumgebungen zu gestalten.« An die Hochschulen selbst wendet sich »Innovative Hochschule«, um »den Kulturwandel in Hochschulen hin zu einer besseren Verwertung von Erkenntnissen zu forcieren«. Das klingt nach überfälliger Erstürmung des Elfenbeinturms, wird aber nur die Drittmittelabhängigkeit der Hochschulen befestigen.

Zu dieser Hightech-Strategie gehören auch Programme für »zivile Sicherheitsforschung«. Es ist mindestens zweifelhaft, wie »zivil« hier zu verstehen ist, wenn es in den Zielen des Rahmenprogramms heißt: »Wir werden internationale Forschungskooperationen ausbauen und die Entwicklung von Lösungsansätzen für globale Herausforderungen mitgestalten«, und wenn Themen wie Terrorismusbekämpfung, Grenzschutz und Luftsicherheit auf der Agenda stehen. Mit der Begründung »zivile Sicherheitsforschung« gehen auch Fördergelder des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (nicht des Verteidigungsministeriums!) an Forschungsprojekte, die im Auftrag der Rüstungsindustrie an deutschen Hochschulen durchgeführt werden. 13 Millionen Euro zahlte das Bildungs- und Forschungsministerium allein 2015 und 2016 dafür. Die Gelder kamen Firmen wie EADS, Kraus-Maffei-Wegmann, Rheinmetall und ThyssenKrupp zugute. Nachwuchswissenschaftler für diesen Bereich umwarb das Ministerium u.a. mit einem »Innovationsforum Zivile Sicherheit« im Juni 2018 in Berlin.

Eine ganz ähnliche Linie verfolgt das aktuelle Europäische Forschungsrahmenprogramm »Horizon 2020«. Es will diesmal vor allem die »Innovationslücke« schließen und die Führungsrolle der europäischen Industrie sichern. Schwerpunkt sind Kooperationen zwischen Forschenden und Unternehmen. Sogar ehemalige Mobilitätsprogramme für die Grundlagenforschung dienen jetzt der Mobilität zwischen akademischer und nichtakademischer Arbeitswelt. Seit dem 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (2007-2013) ist die Sicherheitsforschung prominent dabei. Die explizite EU-Rüstungsförderung kann sich seit 2016 auf den »Europäischen Verteidigungs-Aktionsplan« stützen. Er sieht für Forschungsprojekte nach den ersten Jahren der Anschubfinanzierung ab 2020 Ausgaben von 500 Millionen Euro pro Jahr vor.

Brüche und Streichungen von Zivilklauseln

Es dürfte wenige Zivilklauseln geben, die noch nicht gebrochen wurden, und sei es unabsichtlich: 2016 erstellte die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen eine Machbarkeitsstudie für eine Fabrik für Spezialfahrzeuge in der Türkei. Dass die Betreiberfirma auch Panzer produziert und mit Rheinmetall zusammenarbeitet und dass die Hochschule damit ihre Zivilklausel gebrochen hatte, wurde erst später bekannt. An der Hochschule Bremen gab es 2016 einen anderen Fall. Zwischen der Hochschule und der Bundeswehr wurde vereinbart, Bundeswehrangehörige - angehende Verwaltungsfachkräfte - zum Internationalen Frauenstudiengang Informatik der Hochschule zuzulassen. Rektorat und große Teile der Landespolitik wollten darin keinen Bruch der landesweiten Zivilklausel erkennen.

Warum werden Zivilklauseln so häufig gebrochen? Viele Zivilklausel-Formulierungen sind ungenügend. Die seit 2010 bestehende Zivilklausel in der Präambel der Grundordnung der Universität Tübingen ist das beste Beispiel dafür: »Lehre, Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erfolgen.« Ihrerseits gestützt auf Beispiele aus zurückliegenden Jahren, wurde sie in der Zeit des Aufschwungs der Zivilklauselbewegung Vorbild für mehrere andere Zivilklauseln. »Friedliche Zwecke« und »Zusammenleben der Völker« lassen sich aber weit dehnen. Es muss durchaus keine Absage an Militärisches mit ihnen assoziiert werden, wenn Begriffe wie »humanitäre Intervention«, »friedenserzwingende Maßnahmen« und »responsibility to protect« bereits im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert sind.

Hinzu kommen organisatorische Fragen: Zivilklauseln werden oft als Ergebnis eher kurzfristiger Kampagnen eingeführt, die meist von Studierenden getragen sind. Aber selbst in der Diskussion unter Studierenden spielen Argumente, die hinter Zivilklauseln eine Behinderung der Forschungsfreiheit sehen oder behaupten, dass man zwischen ziviler und militärischer Verwendung von Forschungsergebnissen nicht trennen könne, eine große Rolle. Wenn dann, weil es eine Zeitlang auch für Hochschulen en vogue war, sich eine Zivilklausel zu geben (wer wollte sich nachsagen lassen, nicht für friedliche Zwecke zu forschen?), eine Zivilklausel beschlossen wurde, gibt es in der Praxis häufig Probleme mit der Durchsetzung. Das soll den Respekt für die Arbeit an Zivilklauseln, die oft von wenigen, unter großen Mühen und gegen unerwartete Widerstände geleistet wird, nicht mindern. Aber diese Arbeit findet eben auch semantisch und logistisch nicht im luftleeren Raum statt.

Zu den Brüchen von Zivilklauseln kommt jetzt noch die Gefahr ihrer Streichung. Ausgerechnet bei einem Landeshochschulgesetz kann das demnächst geschehen: dem von Nordrhein-Westfalen. Die Regierungskoalition aus CDU und FDP plant die Novellierung des Landeshochschulgesetzes. Laut dem Eckpunktepapier des zuständigen Ministeriums seien Hochschulen »Teil der Friedenssicherung des Grundgesetzes«, Zivilklauseln daher Ausdruck von Misstrauen.

Widerstand und Ausblick

Obwohl kurz, ist auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung 2018 die Rede von »technologischer Innovationsführerschaft« durch Militärforschung. Aber schon aus den übrigen militärischen Vorhaben, wie dem Aufbau einer »Armee der Europäer«, der Erhöhung des Verteidigungshaushalts sowie der Förderung von Stiftungen und Einrichtungen für Sicherheitspolitik und Friedensforschung, ergeben sich Bedarfe, die an den Hochschulen nicht vorbeigehen werden.

In jedem Fall wachsen die Anforderungen an Transparenz und Kontrolle. Dabei setzt die Europäische Kommission Standards: Die Forschenden müssen in ihren Anträgen für »Horizon 2020« mögliche ethische Probleme ihres Projekts benennen und Lösungen vorschlagen. Ähnliche Regelungen gibt es bei Akademien und Stiftungen. Formal für Transparenz zuständig sind auch Ethikkommissionen. Forderungen nach einer Zivilklausel wurden schon mit der Begründung abgewiesen, dass die Einrichtung einer Ethikkommission geplant sei. Dazu passt die Beobachtung, dass Ethikkommissionen außerhalb der Medizin - dort haben sie eine längere Geschichte - in größerer Zahl 2016 und 2017 entstanden sind; damals wurden die Erfolge der Zivilklauselbewegung stark wahrgenommen. Ethikkommissionen sind jedoch kaum wirksam: Die Forscher entscheiden selbst über ihre Anrufung, sie sind nicht paritätisch besetzt und geben nur Empfehlungen ab. Eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit findet faktisch nicht statt.

Leider ist die Zivilklauselbewegung abgeflaut. Die bundesweite Vernetzung gelingt nicht mehr regelmäßig. Das Bemühen um Kontrollinstanzen für Zivilklauseln hat wenig Erfolg. Geeignet wären etwa Senatskommissionen - solange die Senate nicht noch weiter in ihren Rechten beschnitten werden, im Austausch gegen eine immer höhere Professionalisierung der akademischen Selbstverwaltung.

Trotzdem: Es entstehen Dual-use-Kommissionen, beispielsweise nach der Einführung einer Zivilklausel ins Leitbild der Universität Erlangen-Nürnberg. In Bremen existiert eine wache Zivilgesellschaft, die den Bruch der Zivilklausel durch die Hochschule weiter in der öffentlichen Diskussion hält. Gegen die Pläne zur Reform des Landeshochschulgesetzes in NRW wird protestiert. Vorstellungen von unabhängiger Wissenschaft und einer anderen Hochschule sind auch gegen strukturelle Widerstände lebendig.

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