Der lange Kampf gegen die Unsichtbarkeit

Das Lesbische Aktionszentrum kämpfte im wilden Westberlin der 70er Jahre für die lesbische Sichtbarkeit

  • von Lee Wiegand
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Itzehoe-Prozess gegen Judy Andersen und Marion Ihns steht nicht am Anfang der Geschichte des Lesbischen Aktionszentrums (LAZ), aber er ist in gewisser Weise ein Startschuss gewesen und verschaffte den politisch aktiven Lesben aus dem Westberliner Mikrokosmos bundesweite Aufmerksamkeit. Marion Ihns ertrug das lieblose (Über-)Leben mit ihrem gewalttätigen Ehemann schon lange nicht mehr. Wahre Liebe fand sie erst spät im Leben, bei einer Frau, der Dänin Judy Andersen. Gemeinsam fassten sie den Entschluss, den prügelnden Gatten ermorden zu lassen, und standen im Herbst 1974 deswegen vor Gericht.

Jenes war mit der Situation scheinbar überfordert. Homosexualität, und das bei Frauen, gab es das überhaupt? Aufgrund eines »besonderen Interesses der Bevölkerung« entschieden die Richter, den Prozess vollkommen öffentlich abzuhalten, ein Novum in der bundesdeutschen Geschichte. Diese Entscheidung rief natürlich sofort die sensationslüsterne Boulevardpresse auf den Plan, die beiden Angeklagten wurden in- und außerhalb des Verhandlungssaals von Kameras verfolgt, Reporter schrieben auch dann ohne jeden Anstand mit, wenn Ihns und Andersen von den Richtern auf höchst prüde Weise nach ihrem Sexualleben befragt wurden. Hier standen nicht zwei Frauen als vermeintliche Mörderinnen vor Gericht, sondern als Lesben. »Gegen geile Männerpresse - für lesbische Liebe« stand auf dem Transparent, als an einem Verhandlungstag lesbische Aktivistinnen aus Westberlin den Gerichtssaal stürmten und die Richter zur panischen Flucht zwangen. Am nächsten Tag standen sie auf allen Titelseiten, die ganze Republik ist sich plötzlich der Existenz von Lesben bewusst geworden.

Diese Geschichte erzählt mir Christiane Härdel, früher selbst aktives Mitglied des LAZ und heute eine der Verantwortlichen für die Sonderausstellung im Schwulen Museum. Hier wird die Geschichte der Gruppe dokumentiert, die ursprünglich aus der Frauengruppe der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) entstanden ist. Schon damals ging es um das Thema der »Lesbischen Sichtbarkeit«, und so trennte man sich 1975, einige Zeit nach der spektakulären Prozessbegleitung, von »den Männern« ab, um statt als »schwule Frauen« als Lesbisches Aktionszentrum, kurz LAZ, aktiv zu sein.

Die Historie der HAW-Frauen und des LAZ wird in der aktuellen Sonderausstellung, die noch bis November läuft, umfangreich dokumentiert. Zeitungsausschnitte, Plakate, Pamphlete, eigene Magazine wie die so genannte Lesbenpresse, Bücher aus lesbischen Verlagen und andere Ausstellungsstücke erzählen die vielen individuellen und kollektiven Geschichten, die in ihrem Umfeld erlebt worden sind. So bekommt man auch ohne die professionelle und unterhaltsame Führung von Christiane Härdel einen guten Eindruck, obwohl ich natürlich froh bin, eine Zeitzeugin befragen zu können. Wir beide schwelgen in ihren lebhaften Erinnerungen an die vielen Pfingsttreffen, die die Lesben im Lauf der Jahre abgehalten haben, um sich im Kleinen, außerhalb patriarchaler Strukturen, ausleben zu können und um darüber zu diskutieren, wie man mehr Gleichgesinnte und die feministische Befreiung organisieren könne.

Fast immer mit von der Partie waren die »Flying Lesbians« (Fliegende Lesben), die erste reine Frauenrockband in Europa. Die Gruppe um Swetlana Bottlenberg lieferte den Sound zur weiblichen Revolution und feierte aufgrund ihrer tiefen Verankerung in der Frauen- und Lesbenbewegung einen großen Erfolg mit ihrer einzigen, gleichnamigen LP. Im Schwulen Museum werden derzeit die Originalinstrumente der Band ausgestellt.

Das Verhältnis zwischen der lesbischen und der heterosexuellen Frauenbewegung war nicht immer vollkommen harmonisch. Viele der Heteros empfanden die Lesben oftmals als zu radikal, erzählt mir Christiane Härdel. Das lag wohl auch daran, dass nach dem Plenum ihre Männer darauf warteten, dass gekocht und geputzt wird. »Die vom SDS und der SEW, das waren eben alle richtige Macker«, höhnt Härdel. Da blieb wenig Zeit, um radikal zu sein.

Am Ende eines jeden Tages saß man aber wieder im selben Boot und stand solidarisch zueinander. Denn sexuelle Übergriffe und Belästigungen durch Männer betrafen ja sowohl heterosexuelle als auch lesbische Frauen.

Um sich dagegen zur Wehr setzen zu können, trainierten die Mitglieder des LAZ Jiu Jitsu und Karate bei einer der ersten weiblichen Trainerinnen Westberlins. Immer mehr Frauen wollten im improvisierten Dojo in den Räumlichkeiten des LAZ trainieren, schnell wurde der Raum in der Kulmer Straße zu klein. Aber der Erfolg war bei den Frauen spürbar. Das Selbstvertrauen wuchs stetig.

1982 lösten sich das Lesbische Aktionszentrum und andere ihm nahestehende Organisationen und Institutionen nach und nach auf, seine Akteurinnen verteilten sich in alle Himmelsrichtungen. Übrig geblieben sind aber unter anderem die Beratungsstelle für Lesben in Berlin, die letzte in der Hauptstadt verbliebene Lesbenkneipe »Begine«, das feministische Archiv FFBIZ (Frauenforschungs-, -bildungs- und -informationszentrum) und das Archiv im LAZ, heute »Spinnboden e.V.« Aus letzterem ist die aktuelle Ausstellung im Schwulen Museum erwachsen.

Mit einem gewissen Stolz erklärt mir Christiane Härdel außerdem, dass im Zuge der Ausstellung einige der Ehemaligen beschlossen haben, das Lesbische Aktionszentrum wiederzubeleben. Gemeinsam wollen sie Lesben durch eine sogenannte Aktionsplattform neue Sichtbarkeit verschaffen und generationenübergreifend agieren. Bei jungen Lesben sei die Idee bereits auf große Begeisterung gestoßen.

Vorgesehen ist die Integration des neuen LAZ in das vom Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) unterstützte Elberskirchen-Hirschfeld-Haus, ein queeres Kultur- und Bildungshaus, welches im ehemaligen »Taz«-Gebäude in der Rudi-Dutschke-Straße entstehen soll. Eine gute Idee.

»radikal - lesbisch - feministisch. Zur Geschichte des Lesbischen Aktionszentrums und der HAW-Frauengruppe, 1972 - 1982«, Ausstellung bis 6. November 2018 im Schwulen Museum*, Lützowstraße 73, Tiergarten; Weitere Infos unter: www.schwulesmuseum.de

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