Hartz IV zum Fremdschämen

Johanna Treblin über die RTL-Sendung »Zahltag«

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 2 Min.

Angekündigt ist es als Sozialexperiment. Drei Familien sollen »einen Koffer voller Chancen« bekommen, um aus dem Hartz-IV-Bezug herauszukommen. Doch allein die Ankündigung ist schon zynisch, suggeriert sie doch, dass eine Familie, die auf einen Schlag 25 000 Euro in die Hand gedrückt bekommt, eine reelle Chance hätte, ihr Leben umzukrempeln. Die hätte sie vielleicht, wenn von den 25 000 Euro nicht auch noch die Lebenshaltungskosten für vier Personen zu bestreiten wären.

Die RTL-Sendung »Zahltag« startet also bereits mit einer unmöglichen Bedingung und gaukelt zumindest während der ersten beiden Folgen - die dritte wird erst am Dienstag ausgestrahlt - den Zuschauern vor, dass die Familien es selbst in der Hand hätten, die staatlichen Leistungen hinter sich zu lassen und neue Wege einzuschlagen.

Dabei führen sie die Familien überall vor, wo es nur geht. Statt ihre Privatsphäre Privatsphäre sein zu lassen, läuft die Kamera auch beim Ehekrach mit, und so erfahren die Zuschauer unter anderem, wie oft eines der Paare noch Sex hat. Und immer wieder fließen Tränen. Ein Jahr wurden die Familien angeblich begleitet, dass gerade diese Szenen für die Ausstrahlung ausgewählt wurden, ist natürlich kein Zufall. Dass Hartz-IV-Beziehern keine Privatsphäre zusteht, zeigt RTL auch, indem die sogenannten Experten einfach in Schlafzimmer hineinplatzen.

Die RTL-Sendung bedient alle Klischees vom faulen, ungewaschenen Hartzer, der nicht arbeiten will, obwohl er kann. (Nicht, dass von RTL Systemkritik zu erwarten gewesen wäre.) Jeder, dem das Gefühl des Fremdschämens bekannt ist, dürfte die Sendung kaum ertragen. Allein schon der Experten wegen, die auch den größten Blödsinn ungeschnitten hinausplappern dürfen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal