Die Legende vom Glück ohne Ende
Hier stapeln sich nicht die üblichen Bestseller: Die Buchhandlung »Paul und Paula« in Lichtenberg
Wer eine gewagte These in den Raum stellen will, kann sagen, die Rummelsburger Bucht sei idyllisch. Von Idylle kann derzeit aber keine Rede sein, wo alte auf neue Plattenbauten treffen, wo viele Baustellen die Wege pflastern und viele klapprige, schon halb versunkene Nussschalen das Ufer säumen.
Es sei denn natürlich, man ist ein Fan des beliebten DEFA-Films »Die Legende von Paul und Paula« und wandelt auf den Spuren der beiden Protagonisten, ruft sich die Bildkompositionen von Szenenbildner Harry Leupold vor Augen und dreht die Titelmusik der Puhdys ganz laut auf. Dann kann man hier vielleicht sein Idyll finden.
Mit dem Film hatte die Buchhandlung »Paul und Paula« in der Lichtenberger Pfarrstraße 121, knappe zehn Minuten vom heutigen Paul-und-Paula-Ufer entfernt, einst nur einen Bruchteil des Titels gemeinsam. Früher fand sich in dem Ladengeschäft eine christliche Versandbuchhandlung, die bereits in den 1930er Jahren gegründet wurde. Als solche überlebte sie auch den Staatssozialismus, als exotisches Nischengeschäft im Schatten der konformen Verlage und Geschäfte unter dem Namen »Paulus-Buchhandlung«.
2014 war der Besitzer, Gerd Noë, müde geworden und wollte endlich seine Rente genießen, die kleine Buchhandlung in der Victoriastadt stand vor dem Ende. Das rief Kerstin auf den Plan. Eigentlich ist sie Musikerin, sie spielt ihren eigenen Angaben zufolge in mehreren Bands, die zum Teil auch weltweit erfolgreich sein sollen. Ihr gefiel es gar nicht, dass so eine schmucke kleine Buchhandlung in Zeiten von Amazon und Co. einfach schließen sollte.
Das dachten auch ihre drei Mitstreiterinnen Anet, Elfe und Anja. Dem Kiez würde eine kleine Buchhandlung - christlich müsse sie ja nicht bleiben - mit Sicherheit guttun, so ihr Gedanke, und schließlich übernahmen sie gemeinsam das kleine Geschäft. Aus der »Paulus-Buchhandlung« wurde »Paul und Paula«, um den Wandel klar zu zeigen, ohne das Vergangene ungeschehen zu machen.
Gemeinsam machte man sich ans Werk, das Geschäft neu zu gestalten. Da kam es sehr gelegen, dass Anet nicht nur Grafikdesignerin mit Blick für gut gestaltete Kinderbücher ist, sondern auch eine begabte Handwerkerin. Kurzerhand nahm sie die alten Möbel und Regale von Herrn Noe auseinander und kreierte daraus neue, eigene. Wer durch die Tür in der Pfarrstraße tritt, kommt in eine kleine Oase der Gemütlichkeit im wilden Lichtenberg. Was eine willkommene Abwechslung ist, denkt man an die großen 08/15-Bookstores, die überall zu finden sind.
Bei »Paul und Paula« findet sich vieles, das anders als bei der Konkurrenz ist. Hier stapeln sich keine Bestseller, die am Ende doch keiner kaufen will. Gerade mal ein Belegexemplar findet sich zwischen den ausgestellten Büchern im Schaufenster. Man trifft hier eine strenge, intelligente Vorauswahl, legt einen Schwerpunkt auf feministische Literatur, auf Kinder- und Jugendbücher. Ergänzt wird das Programm durch regelmäßige Lesungen namhafter Autorinnen. Das ist also das Ergebnis, wenn vier Menschen, die keine Buchhändlerinnen sind, eine Buchhandlung eröffnen.
In der Victoriastadt stehen viele Altbauten. Kerstin erzählt, nur der Umstand, dass es 1989 zur politischen Wende kam, habe sie gerettet. Pläne, die alten Gebäude niederzureißen und durch noch mehr Plattenbauten zu ersetzen, hätte es schon lange gegeben. Früher quartierte man in den baufälligen Hütten entlassene Sträflinge ein, heute leben in den begehrten alten, mit EU-Geldern sanierten Palästen gut verdienende Menschen mit Kindern und Geländewagen - Stichwort: Gentrifizierung -, die sich auch mal ein teures Kinderbuch für ihre Liebsten leisten, gerne selbst mal ein »spannendes Buch« lesen und auch ab und zu etwas im örtlichen Buchladen statt bei einem der großen Versanddienstleister bestellen. So läuft das Geschäft trotz seltener Laufkundschaft einigermaßen stabil, noch muss man die Zukunft nicht fürchten.
Man muss nicht in Lichtenberg wohnen, damit sich eine Reise auf den Spuren von Paul und Paula lohnt. Auch der gleichnamigen Buchhandlung sollte man in diesem Fall einen Besuch abstatten. Allein schon der Wärme und Herzlichkeit wegen, mit der man von Kerstin, Anet, Elfe oder Anja empfangen wird.
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