Ein Loch in der Decke

Der US-amerikanische Lichtkünstler James Turrell im Museum Frieder Burda in Baden-Baden

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.

Bei James Turrell ist es wie in den Museen, die einst Schlösser waren. Profane Besucher müssen über ihre Straßenschuhe Pantoffeln ziehen. Im Falle von Turrell sollen jedoch nicht jahrhundertealter Marmorboden oder Parkett geschützt werden, vielmehr soll Straßenschmutz vom weißen Boden des »Ganzfeldes Apani« fernbleiben. »Ganzfelder« nennt Turrell seine Großinstallationen, die ganz aus Licht gefügt sind. Vornehmlich in Rot- und Blautönen, die sich unmerklich ändern, taucht »Apani« dann auf. Je tiefer man in den Raum hineindringt, desto intensiver wird das Lichtfeld. Es leuchtet dabei nicht kräftiger, es scheint vielmehr an Dichte zuzunehmen. Blickt man auf seinen Körper, erkennt man alle Details noch klar. Schweift der Blick aber ab, ins Lichtfeld hinein, so ergibt sich tatsächlich der Eindruck, in die Unendlichkeit zu blicken. Zugleich vermischen sich Körper- und Raumempfinden. Die äußere Grenze des Körpers, die Haut, scheint sich aufzulösen. Der Wellencharakter des Lichts bestimmt nun auch den eigenen Körper. Grenzen lösen sich auf, und der Geist beginnt zu schweifen.

Doch es gibt auch Limits bei diesem Wahrnehmungsexperiment. Alle sieben Minuten beginnt das Licht zu flackern, woraufhin die Museumsaufsicht einschreitet. Man muss Platz machen für die nächste Besuchergruppe. Wer Pech hat, war auch nicht allein oder in einer kleinen Gruppe unterwegs, sondern musste sich mit einem knappen Dutzend anderer Gestalten den dann gar nicht mehr unendlich wirkenden Raum teilen. Sehnsucht kommt da nach der Turrell-Werkschau im Kunstmueum Wolfsburg auf, als eine ganze Ausstellungshalle in ein »Ganzfeld« verwandelt worden war. Das war 2009, als der Geld gebende VW-Konzern die sogenannte Schummel-Software in den Dieselmotoren bereits installiert hatte, sich bei der Manipulation aber so sicher fühlte, dass er ein ganz großes Lichtfeld gleich neben dem eigenen Werksgelände finanzierte. »Lichtkunst« war da auch als Verdunkelung und Ablenkung gedacht - Paradoxien aus vergangenen Zeiten.

Jetzt hat Verlegersohn und Kunstsammler Frieder Burda Turrell zu einer neuen Werkschau nach Deutschland geholt. Bestandteil ist auch hier neben der Werkgruppe der »Ganzfelder« ein Überblick über Turrells wohl gigantischstes Projekt: den Umbau des erloschenen Vulkankraters Roden Crater im US-Bundesstaat Arizona in eine Himmelsbeobachtungsstation. Tiefe Gänge sind bereits ins Erdreich gegraben. Die Mulde des Kraters selbst ist homogen gestaltet, wie ein erdfarbener Hohlspiegel wirkt sie jetzt. In den Krater hinein baut Turrell ein »Auge«, durch das der Himmel beobachtet werden kann.

Baut er nicht am eigenen Krater - eine Stiftung ermöglichte ihm den Kauf des Geländes -, so setzt er sogenannte Sky Spaces in die Welt. Mehrere Dutzend dieser Räume hat er bereits konzipiert, in Nord- und Südamerika sowie in Europa. Sie bestehen aus einem Loch in der Decke, durch das man auf den Himmel blickt. Turrell erzeugt zudem »Lichtstimmungen« im Raum, die besonders den Himmel in der Dämmerung in neue Farben tauchen. Eine Auswahl dieser Projekte als Modell oder Fotografie ist Teil der Gesamtausstellung.

Der 75-jährige Künstler gilt als einer der ungewöhnlichsten des letzten halben Jahrhunderts. Mit seiner Fokussierung auf die Wahrnehmung folgte er zwar einem Trend, er kreierte ihn von einer Außenseiterposition sogar mit. Sein Wille, sich vom Material zu lösen und zugleich Licht zu fast fühlbarer Materie zu verwandeln, ist aber einzigartig. Die Ausstellung in Baden-Baden skizziert dabei den Weg des Künstlers. Zeichnungen aus den 70er Jahren sind zu sehen, auf denen Turrell mit Tinte Lichtobjekte auf Papier zu bannen versuchte. Auch eine Position aus der seltener gezeigten Werkgruppe der Dual Shallow Spaces ist zu sehen. Hier operiert Turrell mit LED-erzeugten Lichtfeldern auf zwei Seiten eines Raumes. Vor diesen sich farblich stets ändernden Feldern ließ Turrell jeweils eine Wand platzieren. Das Licht dringt an den vier Rändern dieser Wand hervor, es wird zum Rahmen. Turrell kehrt hier einerseits die Konventionen der bildenden Kunst um: Der Rahmen ist das eigentliche Kunstwerk. Er kreiert andererseits erneut einen Raum, in dem das Auge des Betrachters sich willig Täuschungen hingibt: Die Wand scheint mal zu wachsen, mal zu schrumpfen. Mal wirkt es, als nähere sie sich dem Betrachter, dann wieder, als entferne sie sich. Es sind meditative Schauspiele ohne Akteur, an denen nur das Licht und die Augen der Betrachter beteiligt sind.

In jüngster Zeit beschäftigte sich Turrell verstärkt mit Hologrammen. Geometrische Objekte, die sich bei Positionswechsel verändern, werden auch hier durch LEDs vor das Auge geholt. Turrells Weg zum »Lichtkünstler« begann im Übrigen in den Lüften. Weil sein Vater in der Luftfahrtindustrie arbeitete, war Turrell junior viel mit Flugzeugen unterwegs. Er genoss vor allem die Momente, in denen das Flugzeug der auf- oder der untergehenden Sonne folgte und sich zur einen Seite schwarze Nacht, zur anderen aber rot-goldenes Glühen ausbreitete. Längere Zeit musste er auf die Entwicklung der Technik warten, bis Licht in der Intensität und auch in der Stabilität hergestellt werden konnte, wie er es wünschte. Zuweilen rufen seine Lichtfelder Erinnerungen an die Farbfeldmalerei des 20. Jahrhunderts wach. Als kluge Gegenposition haben die Kuratoren des Burda- Museums Farbflächen des deutschen Künstlers Gerhard Richter in einer begleitenden Ausstellung präsentiert. Richter gelingt es dabei immer wieder, die Zweidimensionalität seiner Leinwände vergessen zu machen. Der starke Immersionseffekt wie bei Turrell stellt sich bei ihm zwar nicht ein. Aber es werden verwandte Motive deutlich. Kunst wird hier tatsächlich zu einem Erlebnis.

Bis zum 28. Oktober

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