In ein Kriegsgebiet geschickt

Kritik an Abschiebung von Afghanen / Innenministerium nennt die Rückführung rechtmäßig

Bis spätabends ist die brandenburgische Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (LINKE) am Münchner Airport gewesen - zusammen mit der bayerischen Bundestagsabgeordneten Simone Barrientos (LINKE). Gemeinsam haben sie dort zwei Stunden lang mit der Bundespolizei diskutiert - vergeblich. Mit den 46 Afghanen, die am Dienstag um 20.15 Uhr mit einem Sammeltransport in ihre Heimat abgeschoben werden sollten, durften sie nicht sprechen. Sie wollten Hilfe anbieten. Nicht einmal dies gelang ihnen. Die Abschiebung konnten sie schon gar nicht verhindern. Am Mittwoch landete das Flugzeug in Kabul.

Johlige war eilig nach München gereist, nachdem sie kurz zuvor von dem 21-jährigen Karimullah S. erfahren hatte. Der stammt aus der Provinz Kandahar, litt in der Abschiebehaft in Passau unter Panikattacken und durfte im Winter 2016 zu Verwandten nach Forst in der Lausitz. Gegen die Ablehnung seines Asylantrags hatte er geklagt. Das Verfahren war noch nicht abgeschlossen. Deswegen sagt Johlige, die Abschiebung sei aus ihrer Sicht rechtswidrig. Sie hätte erwartet, dass Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) die Abschiebung stoppt. Das hat er aber nicht getan. Dabei gab es 2017 einen Landtagsbeschluss, wonach die Ausländerbehörden bei einer sorgfältigen Einzelfallprüfung von ihren Ermessensspielräumen Gebrauch machen sollten.

Doch die Ausländerbehörden sind nun durch ein Rundschreiben des Innenministeriums vom 4. Juli 2018 aufgefordert, bei der Planung von Abschiebungen insbesondere alleinstehende afghanische Männer zu berücksichtigen, die keine Arbeit haben und auch keine Ausbildung machen. Zwar hänge die Realisierbarkeit von Rückführungen stark von der persönlichen Situation der Menschen ab, so heißt es in dem Schreiben. Aber das Karimullah S. »psychisch sehr labil« ist, wie seine Rechtsanwältin Myrsini Laaser berichtet, hat ihn nicht gerettet.

Ihr Mandant sei wegen eines Selbstmordversuchs bereits in stationärer Behandlung gewesen. »Er ist damals vor den Taliban geflohen. Sein Vater wurde von den Taliban ermordet. Erst im Mai 2018 wurde seine Familie erneut von den Taliban angegriffen und bedroht. Bei diesem Angriff wurden seine Brüder schwer verletzt und Freunde getötet.«

Der Flüchtlingsrat Brandenburg erklärt, eine Einzelfallprüfung habe offensichtlich nicht stattgefunden. »Wir sind empört, dass Menschen in solch labilem Zustand in ein Land abgeschoben werden sollen, in dem sie alles andere als Unterstützung erwartet«, sagt Lotta Schwedler vom Flüchtlingsrat. Sie nennt die Abschiebung ein »menschliches Armutszeugnis für die rot-rote Landesregierung«. Alle Abschiebungen nach Afghanistan müssten gestoppt werden. Brandenburg dürfte bei den Sammeltransporten »in den Krieg« nicht mitmachen, findet Schwedler.

Die LINKE lehne Abschiebungen nach Afghanistan »grundsätzlich ab«, stellt die Landesvorsitzende Anja Mayer klar. Mayer hält es für »politisch falsch«, dass das Auswärtige Amt am 31. Mai die Lage so einschätzte, dass es nun sichere Gebiete in Afghanistan geben soll. Von sicheren Gebieten könne keine Rede sein.

Die Landesintegrationsbeauftragte Doris Lemmermeier zeigte sich »schockiert«, dass Brandenburg Geflüchtete nach Afghanistan abschiebt. Afghanistan sei »kein sicheres Land«. Es gebe dort auch keine sicheren Zonen. Das sei nur ein Mythos, mit dem Abschiebungen gerechtfertigt werden. Es gebe zahlreiche Berichte, dass Menschen nach ihrer erzwungenen Rückkehr ermordet wurden oder aus Verzweiflung Selbstmord begingen. Die Integrationsbeauftragte forderte den Innenminister und die Ausländerbehörden auf, »von weiteren Abschiebungen nach Afghanistan abzusehen«.

Afghanen, die in Brandenburg leben, reagieren ungläubig auf die Nachricht von der Abschiebung. Sie dachten, dass so etwas hier im Bundesland nicht vorkommen würde. »Traurig«, kommentierte einer. Innenministeriumssprecher Ingo Decker erläuterte, dass von drei Afghanen aus Brandenburg, die am Dienstagabend im Flugzeug saßen, zwei verurteilte Straftäter waren. Einer war ein übler Intensivtäter, der bereits im Gefängnis saß, und für den sich niemand verwenden möchte. Der andere habe auch mehrere Delikte auf dem Kerbholz.

Dagegen ist Karimullah S. kein Verbrecher. Er hat sich allerdings einmal abgesetzt und ist in Frankreich aufgegriffen und in die Bundesrepublik zurückgebracht worden. Ihm wird vorgeworfen, er habe sich nicht richtig seine um Integration bemüht. »Die drei Rückführungen waren allesamt rechtmäßig«, betont Decker unter Hinweis auf Gerichtsentscheidungen. Man habe auch den Landtagsbeschluss von 2017 »peinlich genau beachtet«. Wenn jemand glaube, hier würden unbescholtene Flüchtlinge abgeschoben, die auf einem guten Wege der Integration seien, so sei dies ein abwegiger Gedanke.

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