Wahl mangels besserer Alternativen

Ibrahim Boubacar Keïta wird trotz dürftiger Bilanz wieder Präsident in Mali

  • Bettina Rühl, Bamako
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Ibrahim Boubacar Keïta vor fünf Jahren erstmals zum malischen Staatschef gewählt wurde, galt er als Hoffnungsträger. Die Bevölkerung war zaghaft optimistisch, weil die Wahl nach einem Militärputsch und der zwischenzeitlichen Eroberung des Nordens durch islamistische Milizen überhaupt stattfinden konnte. Überzeugende 77,6 Prozent der Wählerinnen und Wähler gaben »IBK«, wie er überall genannt wird, ihre Stimme, damit er das Land stabilisiere - allerdings bei einer Wahlbeteiligung von nur 45 Prozent.

Am vergangenen Sonntag war die Wahlbeteiligung bei knapp 35 Prozent noch niedriger, und von »Hoffnung« kaum mehr die Rede: Der zarte Optimismus von 2013 ist ausgeprägter Politikverdrossenheit gewichen. Vor allem die jungen Malierinnen und Malier sind frustriert, weil das Land wirtschaftlich trotz punktueller Fortschritte insgesamt stagniert, und weil es viel zu wenig Arbeit gibt. In einem Land wie Mali ist das eine wichtige politische Größe, denn 66 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre.

Für den drastischen Stimmungswechsel ist Keïta selbst verantwortlich. Dennoch ist der 73-Jährige mit 67,2 Prozent der Stimmen in der Stichwahl wiedergewählt worden. Bereits in der ersten Runde hatte er mit gut 41 Prozent der Stimmen einen beträchtlichen Abstand zu seinem wichtigsten Herausforderer, Soumaïla Cissé, der auf knapp 18 Prozent kam. Cissé und der Rest der Opposition sprechen von drastischen Fälschungen, obwohl das Verfassungsgericht ihre Beschwerden gegen das Wahlergebnis der ersten Runde abgewiesen hat. Aber selbst wenn es tatsächlich Unregelmäßigkeiten gab, ist es wenig wahrscheinlich, dass Cissé die erste Runde gewann.

Warum also stimmt die Mehrheit trotz seiner enttäuschenden ersten fünf Jahre wieder für Keïta? Weil sie letztlich keine Alternative hat. Keïta, Cissé und die 22 anderen Kandidaten im ersten Durchgang waren entweder Repräsentanten des alten Systems, oder schienen zu leichtgewichtig, um das Land aus der schweren Krise zu führen, in der es sich immer noch befindet.

Indes hat Keïta den anderen an Erfahrung viel voraus: Seit zwei Jahrzehnten gehört er zum politischen Establishment Malis. Er war schon Wahlkampfmanager des ersten malischen Präsidenten nach der Militärdiktatur, Alpha Oumar Konaré, und von 1994 bis 2000 Ministerpräsident. Von 2002 bis 2007 war er Präsident der Nationalversammlung, schielte aber weiter nach der Exekutive: 2002 und 2007 kandidierte er erfolglos gegen den 2012 gestürzten Präsidenten Amadou Toumani Touré.

Als er 2013 gewählt wurde, galt Keïta als relativ »sauber« in einem durch und durch korrupten politischen System. Mit diesem positiven Vorurteil räumte er gründlich und umgehend auf. Bei der Beschaffung von Militärgütern und dem Kauf eines Präsidentenflugzeugs wurden schon innerhalb seines ersten Amtsjahres 14 Millionen Euro veruntreut. Im Frühjahr 2014 listete der Internationale Währungsfonds (IWF) in einem fast 240 Seiten starken Bericht weitere betrügerische Verträge auf. Der Schaden für die Bevölkerung: 38 Millionen Euro. Und das in einem Land, das strukturell von Entwicklungshilfe abhängig ist und zu den ärmsten der Erde gehört.

Der IWF, die EU und die USA stellten ihre Zahlungen an Mali zwischenzeitlich ein, das Land geriet an den Rand des Bankrotts. Nach ein paar Versprechen, darunter Aufklärung der Vorfälle, floss das Geld bald wieder. Doch die Verhältnisse blieben wie vorher, und weitere Skandale kamen dazu. Das Land liegt auf dem UN-Entwicklungsindex auf Platz 175 von 188 Staaten. Rund 1,2 Millionen Kinder im Grundschulalter gehen laut dem Kinderhilfswerk UNICEF nicht zur Schule. Jedes neunte Kind stirbt noch vor dem fünften Geburtstag.

Auch für den Frieden, den die Bevölkerung sich von Keïtas ersten Wahl erhoffte, hat der Präsident in den vergangenen Jahren wenig getan. Die Umsetzung eines Friedensabkommens von 2015 kommt nur äußerst schleppend voran. Das liegt nicht nur, aber auch an der malischen Regierung. An Gewalt und Terror hat auch eine UN-Mission mit rund 12 000 Soldaten nichts geändert, an der sich die Bundeswehr mit bis 1100 Soldaten beteiligt. Gewalt herrschte auch während der Wahlgänge, bei denen mehrere Wahlhelfer getötet und zahlreiche Abstimmungslokale angegriffen wurden oder aus Sicherheitsgründen geschlossen blieben.

Obwohl er an der Eskalation der Lage nicht unschuldig ist, hat Keïta in seinem Wahlkampf auch diesmal vor allem Frieden und Stabilisierung versprochen. Die Mehrheit hat ihm dafür noch einmal das Mandat gegeben - wohl auch eine Folge seines Bonus’ als Amtsinhaber. epd/nd

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