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Reformpaket kommt sehr spät

Ökonom Manuel Sutherland über Maduros neue Maßnahmen gegen die Krise in Venezuela

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 4 Min.

Ab dem heutigen Montag gibt es in Venezuela mit dem «Souveränen Bolívar» eine neue Währung, wegen der Hyperinflation werden fünf Nullen gestrichen. Gleichzeitig soll der Mindestlohn um 6000 Prozent erhöht werden. Kann das funktionieren?

Nein. Zwar hat die Regierung gesagt, dass sie für kleinere Unternehmen drei Monate lang die Lohnerhöhung zahlen will, damit die Preise nicht steigen, aber das wird nicht klappen und zudem ein enormes Korruptionspotenzial schaffen. Natürlich ist der derzeitige monatliche Mindestlohn ein Skandal, denn er beträgt laut Schwarzmarkt-Kurs gerade einmal etwas mehr als einen US-Dollar. Aber woher sollen kleine Unternehmen nach drei Monaten das Geld nehmen, um das 60-fache an Lohn zu zahlen? Sie werden Arbeiter entlassen und die Preise erhöhen. Auf die Kaufkraft wird sich der Schritt nicht nennenswert auswirken, sondern die Hyperinflation weiter anfachen.

Manuel Sutherland

Manuel Sutherland ist Ökonom und Direktor des marxistischen Forschungszentrums »Centro de Investigación y Formación Obrera« (CIFO) in Venezuelas Hauptstadt Caracas. Über das Reformpaket, mit dem die Regierung von Nicolás Maduro der tiefen Wirtschaftskrise beikommen will, sprach mit ihm für »nd« Tobias Lambert.

Der neue Bolívar soll an die Kryptowährung Petro gekoppelt sein, die wiederum an den Erdölpreis gebunden ist. Wird Venezuela dadurch eine stabilere Währung haben?

Davon ist nicht auszugehen. Erdölreserven, die sich im Boden befinden, also noch gar nicht gefördert und somit noch nicht in Wert gesetzt worden sind, können nicht eine Währung decken, so wie Gold oder Währungsreserven einer Zentralbank. Das schafft kein Vertrauen. Als simple Rechnungseinheit hat der Petro wiederum wenig Relevanz.

Im Rahmen des sogenannten Plans zur wirtschaftlichen Erholung sind noch eine Reihe weiterer Maßnahmen wie die Legalisierung des Devisenhandels und eine deutliche Erhöhung der Benzinpreise geplant. Wie beurteilen Sie diese Schritte?

Die monetären Reformen sind tatsächlich unumgänglich. Dazu zählt die Liberalisierung der Devisenpolitik, der früher oder später eine kontrollierte Freigabe des Wechselkurses folgen muss. Auch die Anhebung des Benzinpreises von praktisch Nulltarif auf internationales Niveau ist prinzipiell richtig. Aber gleichzeitig handelt die Regierung sehr widersprüchlich. Einerseits spricht sie davon, das Fiskaldefizit auf Null zu reduzieren, andererseits erzeugt sie eine Reihe neuer Ausgaben. Es ist kein kohärenter Plan erkennbar. Zudem kommen all diese Maßnahmen sehr spät und werden auf eine seltsame Art und Weise umgesetzt.

Inwiefern seltsam?

Niemand weiß, worin genau der Plan zur wirtschaftlichen Erholung besteht. Es gibt kein Konzept, das man nachlesen könnte. Das gleiche gilt für die wirtschaftlichen Indikatoren, die schon seit Jahren nicht mehr veröffentlicht werden. Ich sehe bei der Regierung zwar immerhin den Willen, überhaupt etwas zu tun, was an sich schon eine positive Veränderung ist. Sie versucht, einige der Fehler zu korrigieren, die in der Wirtschaftspolitik der vergangenen 15 Jahren gemacht wurden. Statt eine produktive Industrie und Landwirtschaft aufzubauen, hat man auf Importe gesetzt, die Kapitalflucht beschleunigt und der Bourgeoisie enorme Möglichkeiten geboten, sich schnell zu bereichern. Mit Sozialismus hatte das nichts zu tun.

Der Wille der Regierung führt nicht dazu, dass eine breite Diskussion über die Krise und mögliche Auswege geführt würde. Alle Entscheidungen trifft ein kleiner Kreis innerhalb der Regierungspartei auf völlig intransparente Art und Weise. Daher gibt es über die Auswege aus der Krise keinen gesellschaftlichen Konsens.

Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die Preissteigerungen dieses Jahr eine Million Prozent erreichen könnten. Was wäre nötig, um die Hyperinflation in den Griff zu bekommen?

Die Zentralbank muss umgehend aufhören, ständig neues Geld zu drucken, ohne dass die Produktivität gesteigert wird. Wir müssen eigene Industrien und den Agrarsektor aufbauen, in Verbindung mit einem breiten Plan für mehr Arbeit, vor allem im Inneren des Landes. Der Wechselkurs müsste freigegeben und die Preiskontrollen abgeschafft werden, weil sie nicht funktionieren und viele der regulierten Produkte auf dem Schwarzmarkt landen oder außer Landes geschmuggelt werden. Zusätzlich sollte die Regierung den Einfluss des Militärs auf die Wirtschaft einschränken und die exorbitant hohen Militärausgaben kürzen. Das gleiche gilt für die ausufernde Bürokratisierung, es gibt mehr als drei Millionen Staatsangestellte, von denen viele überhaupt keine sinnvolle Funktion ausüben.

Was erwarten Sie von den Maßnahmen der Regierung?

Die allmähliche Öffnung der venezolanischen Wirtschaft könnte zu einer leichten Verbesserung der Lage führen und Maduros politische Herrschaft stabilisieren. Aber ein großes Problem sind die öffentlichen Dienstleistungen, die sich in sehr schlechtem Zustand befinden. Es gibt Gebiete, in denen tagelang der Strom oder sogar wochenlang das Wasser ausfällt. Diese Situation kann zu größeren Protesten führen, die der Regierung durchaus gefährlich werden können. Es fehlt nicht nur das nötige Geld für Investitionen, sondern auch Fachpersonal, denn vermutlich mehrere Millionen Venezolaner haben das Land verlassen. Zurück bleiben vor allem Kinder und Alte, was eine mögliche wirtschaftliche Erholung zusätzlich erschwert.

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