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Warum steigt der Eigenanteil für Heimbewohner?

Fragen & Antworten rund um die Pflege

  • Lesedauer: 5 Min.

Warum steigen die Eigenanteile für Heimbewohner so an?

Das ist die direkte Folge des 2017 in Kraft getretenen Pflegestärkungsgesetzes II, das die tarifliche Bezahlung des Fachpersonals ebenso zum Ziel hat wie verbesserte Personalschlüssel in den Einrichtungen. Dazu kommt die Umstellung auf die einrichtungseinheitlichen Eigenanteile für alle Bewohner, die verhindern sollen, dass der Eigenanteil für die Pflege, Betreuung und Behandlungspflege steigt, wenn sich der Pflegegrad des Einzelnen erhöht.

Das bedeutet: Alle pflegebedürftigen Bewohner in den Pflegegraden 2 bis 5 zahlen den gleichen Eigenanteil. Die Folge: Ein Drittel aller stationär betreuten Personen, nämlich die mit einem niedrigen Pflegegrad, hat seither deutlich höhere Zuzahlungen zu leisten. Die Summe liegt im Schnitt bei 200 Euro pro Monat.

Wie hoch sind die Eigenzahlungen und warum werden sie vermutlich weiter steigen?

Nach Angaben des Sozialverbandes Deutschland VdK liegen die Eigenanteile für Heimbewohner im OECD-Vergleich in der Spitzengruppe. Laut dem Barmer Pflegereport 2017 zahlen Pflegebedürftige in stationären Einrichtungen im Schnitt monatlich 587 Euro aus der eigenen Tasche für die Pflegekosten. Rechnet man die weiteren Zahlungen für Unterkunft, Verpflegung und die sogenannten Investitionskosten hinzu, ergibt sich ein Betrag von 2278 Euro. Der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA-Pflegeschutzbund) zufolge müssen Menschen mit Pflegegrad 2 mit Erhöhungen von bis zu 500 Euro rechnen.

Sind Frauen und Männer gleichermaßen finanziell belastet?

Nein, Frauen zahlen vor allem deshalb mehr zu, weil sie im Vergleich zu den Männern deutlich länger im Heim leben. Sie müssen für ihren gesamten Heimaufenthalt im Durchschnitt etwa 45 000 Euro selbst bezahlen.

Warum hat die gesetzliche Pflegeversicherung das Ziel der sozialen Absicherung gegen Armut nicht erreicht?

Das hat mehrere Gründe. Der wichtigste ist, dass sie von Beginn an als Teilkaskoversicherung angelegt ist. Das bedeutet: Je nach Pflegegrad gewährt die Kasse lediglich einen festen Zuschuss zu den tatsächlichen Pflegekosten. Der deckt nur zwischen 65 und 75 Prozent der realen finanziellen Belastungen ab. Über die Jahre hat sich der Anteil, den die Pflegekassen übernehmen, zudem deutlich vermindert. Zudem kritisieren die Fachverbände schon lange, dass ihre Leistungen von Beginn zu niedrig bemessen waren. Dazu kommt, dass die Hilfen nicht kontinuierlich an steigende Kosten und die Inflation angepasst wurden.

Welche Sofortschritte schlagen Fachleute vor?

Der VdK hat in einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages dafür plädiert, die Zahlungen der Pflegekasse jährlich zu dynamisieren, damit sie mit der Kostenentwicklung Schritt halten. Wichtig ist es demnach auch, die Leistungen stets an die Lohnkosten für das Pflegepersonal anzupassen. Und schließlich: Der seit Jahren beobachtbare, inflationsbedingte Wertverlust der Pflegeleistungen zulasten der Pflegeanbieter sollte sofort durch eine einmalige Erhöhung der Pflegeleistungen ausgeglichen werden.

Wieso führen Lohnerhöhungen in der Pflegebranche zu Mehrkosten für die Heimbewohner?

Verdienen die Fachkräfte mehr Geld, dann steigen unmittelbar die selbst zu zahlenden Pflegekosten. Denn jede Verbesserung im Personalbereich schlägt direkt auf die Höhe der Eigenanteile durch. Das kommt daher, dass die Pflegekasse stets nur einen fixen, vom Pflegegrad abhängigen Betrag übernimmt.

Warum steigt der Eigenanteil im Osten besonders stark?

In Ostdeutschland wurden bislang eher niedrige Löhne bezahlt, der Nachholbedarf bei der besseren Bezahlung ist also groß. Kommt es hier zu tariflichen Lohnsteigerungen, klettern die Selbstkosten der Heimbewohner rapide in die Höhe. Dazu kommen von der Politik beschlossene verbesserte Personalschlüssel. Mehr Personal kostet mehr Geld, das sich die Träger von den Heimbewohnern zurückholen. Die BIVA hat ausgerechnet, dass eine Anhebung der Löhne in der Altenpflege auf das Niveau der Krankenpflege für die Heimbewohner zu weiteren Kostensteigerungen von monatlich rund 300 Euro führen würde.

Welche Rolle spielt die medizinische Behandlungspflege bei steigenden Eigenanteilen?

Eine ganz wesentliche, sagt die BIVA. Sie hält die bestehende Regelung, wonach die Pflegekassen diese Behandlungen pauschal bei Heimbewohnern zu tragen haben, für systemwidrig. Sie fordert, dass künftig die Krankenkassen dafür aufkommen sollen, so wie das auch im Bereich der ambulanten Pflege seit jeher der Fall ist.

Derzeit werde die stationäre Pflege gegenüber der ambulanten benachteiligt. Würde das geändert, wären Entlastungen bei den Betroffenen von 200 bis 500 Euro monatlich möglich. 70 Prozent aller Heimbewohner nehmen Leistungen der medizinischen Behandlungspflege in Anspruch, die sie zum Teil selbst zahlen müssen, wenn die Pauschalen der Pflegeversicherung nicht ausreichen.

Welche Reformen könnten die Pflege für Heimbewohner wieder bezahlbar machen?

Um mehr Geld in die Pflegekassen zu bekommen und so höhere Leistungen zu finanzieren, schlagen viele Experten vor, den Pflegevorsorgefonds aufzulösen oder zumindest abzuschmelzen. Der wurde mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz bei der Bundesbank angelegt. Hier wird ein Anteil von 0,1 Prozentpunkten der Pflegeversicherungsbeiträge pro Jahr angelegt. Aktuell sind das etwa 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Über einen Zeitraum von 20 Jahren soll so Geld angespart werden, um danach zu erwartende Beitragssteigerungen abzumildern. Derzeit sind rund fünf Milliarden Euro im Fonds.

Außerdem schlagen Fachleute eine andere Systematik in der Pflegeversicherung vor. Nicht die Pflegekasse sollte einen festen Betrag, sondern der zu Pflegende einen festen, von vorn herein bekannten gedeckelten Eigenanteil zahlen. Der Versicherte kann dann eine zukunftsfeste Vorsorgeplanung machen.

Auch die Zahl der Pflegekassen könnte gesenkt werden. Laut BIVA haben die Kassen allein für ihre Verwaltungsaufgaben 600 Millionen Euro zur Verfügung. Geld, das an anderer Stelle sinnvoller einzusetzen wäre.

Geprüft werden müsse zudem, ob das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung beibehalten werden soll. In der Debatte ist zudem, sämtliche Einnahmen, also nicht nur Löhne, sondern auch Kapitalgewinne, Mieteinnahmen und Erbschaften beitragspflichtig zu machen. Und: Die Mitgliedschaft aller Bürger in der gesetzlichen Pflegeversicherung würde die Solidargemeinschaft stärken und für mehr Einnahmen sorgen. Nicht zuletzt muss über einen Bundeszuschuss dauerhaft mehr Steuergeld in die Pflege fließen. epd/nd

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