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  • Kamelrennen in Saudi-Arabien

Roboter ersetzen Kinderreiter

Bei den profitablen Kamelrennen verbietet nun auch Saudi-Arabien den umstrittenen Einsatz von Minderjährigen

  • Oliver Eberhardt, Kairo
  • Lesedauer: 5 Min.

Hoch und erhaben, laut schnaubend, röhrend stehen die Kamele aufgereiht in der brennenden Sonne der Sinai-Halbinsel, bestaunt von Touristen, umzingelt von Posten des ägyptischen Militärs, denn nur wenige Kilometer weiter führt Ägypten Krieg geführt gegen dem sogenannte »Islamischen Staat« nahestehende Gruppen. Männer im traditionellen Gewand der Beduinen schreiten die Kamele ab, prüfen jedes einzelne. Die Preisrichter, die dafür sorgen, dass alles mit rechten Dingen zugeht - nicht nur bei den Tieren, sondern auch bei den Menschen.

Kamelrennen haben in der arabischen Welt eine Jahrtausende lange Tradition. Nie zuvor jedoch waren sie derart umfassenden Veränderungen ausgesetzt wie in den vergangenen Jahren: Auf der arabischen Halbinsel, in Ägypten und in Pakistan wurden strenge Vorschriften für Reiter, Besitzer, Veranstalter und Tiere eingeführt. Als letzter Staat auf der arabischen Halbinsel hat Saudi-Arabien nun den Einsatz von menschlichen Jockeys vollständig verboten.

Schon seit Jahren werden Kamele in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) von kleinen Robotern »geritten«, die aus Autos, die entlang der Rennstrecke fahren, gesteuert werden. Die Geräte sind normiert, zwischen zwei und sechs Kilo schwer, und haben sogar so etwas wie einen kleinen Kopf und Beinchen. Über Funkgeräte an den Robotern werden die Kamele angetrieben, hinzu kommt meist eine Peitsche, die der Roboter bedient.

Doch wie kam es dazu? Abseits der langen, sandigen, heißen Rennstrecken war das traditionsreiche Kamelreiten zu »nichts weiter als einem eiskalten Geschäft verkommen, in dem keinerlei Rücksicht auf die Menschen und die Tiere genommen wurde«, sagt Hanan Mohamed al Kuwairi, der Gesundheitsminister Katars. Die Regierung des Emirats hatte daher den »Robo-Jockey« ab 2009 entwickeln lassen. Vor einigen Jahren hat man dann menschliche Reiter verboten. Die VAE folgten kurz darauf.

Es war höchste Zeit, denn mit dem steigenden Wohlstand auf der arabischen Halbinsel seit Beginn der 90er Jahre waren die Preisgelder enorm gestiegen - mittlerweile auf bis zu 30 Millionen US-Dollar pro Rennen! Die Veranstaltungen wurden zum Spektakel für Tausende Zuschauer: »Die Rennen wurden immer schneller, und an Orten veranstaltet, die zwar besser zu erreichen, aber auch gefährlicher sind«, sagt al Kuwairi. Dromedare (nur ein Höcker) können kurzzeitig bis zu 65 Kilometer schnell laufen, über einen Zeitraum von einer Stunde ist eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km/h realistisch.

Doch um so schnell zu werden, mussten die Reiter sehr leicht sein, weshalb sie auch immer jünger wurden: In den 90ern saßen plötzlich nicht mehr 18-Jährige auf den Tieren, sondern 6- bis 15-jährige Kinder und Jugendliche. Gesundheitsbehörden und Menschenrechtsorganisation schlugen Alarm. Nahezu wöchentlich kam es zu Unfällen, sogar zu tödlichen Stürzen. Selbst ein unfallfreies Rennen war ungesund. »Das ist, als würden sie sich eine Stunde lang auf einen Presslufthammer setzen. Es geht auf die Wirbelsäule, die Knochen, die Organe. Bei uns war das glücklicherweise immer verboten«, sagt Minister al Kuwairi, räumt aber ein, dass auch das im Emirat bis 2009 geltende Mindestalter von 15 Jahren zu niedrig war.

Die Leidtragenden waren dabei fast immer die Ärmsten unter den Armen: Rennstallbesitzer kauften sich ihre Reiter in den Slums am Rande der Glitzermetropolen ein. Als sich auch dort niemand mehr fand, der sein Kind zur Verfügung stellen wollte, heuerte man Kinder und Jugendliche in Pakistan, Nepal und Indien an, möglichst leicht, möglichst schmächtig. Und damit auch umso gefährdeter. Selbst von Entführungen wurde berichtet.

»Das hatte nie etwas mit der glorreichen Tradition der Kamelrennen zu tun«, sagt Fawzan al Madi. Er ist der oberste Kamelrichter Saudi-Arabiens, richtet über Dispute zwischen Besitzern, sorgt für die Regeltreue. Bekanntheit erlangte er während eines Dopingskandals im vergangenen Jahr: Bei einem Schönheitswettbewerb waren mindestens 100 Kamelen die Lippen mit Botox aufgespritzt sowie Implantate in ihre Höcker eingesetzt worden. Vor allem tritt al Madi dafür ein, dass Kamelrennen bleiben, was sie immer waren. Noch bis vor einigen Jahrzehnten lebte ein Großteil der Bevölkerung auf der Halbinsel nomadisch. Kamele waren Transportmittel, Nahrungslieferant, ihre Felle sorgten für Wärme in kalten Wüstennächten: »Es war nie Tradition, dass Kinder die Rennen reiten«, sagt al Madi.

Dass die saudische Regierung nun ebenfalls auf die Robo-Jockeys setzt, liegt nach Ansicht al Madis am gestiegenen öffentlichen Bewusstsein für das Wohl von Mensch und Tier. Vor allem aber sei der Widerstand der Besitzer geringer geworden, die so gut wie nie selbst Beduinen sind, sondern Geschäftsleute. Gegen den Robo-Jockey ist kein menschlicher Reiter konkurrenzfähig. Ursprünglich hatten die Besitzer deshalb einen Ausschluss der Technik gefordert. Doch die Regierungen der Nachbarländer drohten ihren Staatsbürgern mit einem Teilnahmeverbot, die Rennen hätten dann massiv an Attraktivität verloren.

Auf dem Sinai dürfen Menschen bei Rennen Kamele noch reiten, allerdings müssen sie mindestens 18 Jahre alt sein und ein Mindestgewicht sowie die erforderliche Ausbildung und körperliche Fitness nachweisen, ein Zugeständnis an die Tourismusindustrie. Ägypten ist somit das letzte Land ohne Verbot. »Kamelrennen sind für uns eine wichtige Einnahmequelle. Die westlichen Touristen wollen einen Hauch von 1001 Nacht sehen«, behauptet Mohammed al Ahmar, Oberhaupt einer Beduinengemeinschaft auf dem Sinai: »Bei einem Rennen in Saudi-Arabien hätten unsere Kamele natürlich keine Chance, aber das ist uns nicht wichtig. Hauptsache, alle sind glücklich.«

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