Schiedsrichter: Mehr Tempo und Transparenz in der Bundesliga

Die Unparteiischen werden in dieser Saison von neuer Technik unterstützt und sollen interaktiver agieren

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.
Neue Saison, neues System, alter Streit: Das Abseitstor des Magdeburgers Martijn Kaars (v.) gegen Dresden sorgte für Diskussionen.
Neue Saison, neues System, alter Streit: Das Abseitstor des Magdeburgers Martijn Kaars (v.) gegen Dresden sorgte für Diskussionen.

Als gelernter Maschinenbauer ist Knut Kircher damit vertraut, dass es bei allem technischen Fortschritt immer eine Fehlertoleranz gibt. Gleichwohl ist für den Geschäftsführer Sport und Kommunikation der Schiri GmbH des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) unbestritten, dass sich der Profifußball mit der halbautomatisierten Abseitstechnologie auf eine Verbesserung in der neuen Saison freuen darf. »Das System ist schneller«, sagt Kricher. Der bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) für den Spielbetrieb zuständige Direktor Ansgar Schwenken versprach am Dienstag auf dem DFB-Campus: »Unseres Erachtens bringt das eine deutliche Vereinfachung.« Die Transparenz und die Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung würden erhöht.

Von Kopf bis Fuß

Nicht mehr der Videoassistent (VAR) entscheidet nun am Monitor mithilfe mühsam angelegter Linien und Lote, sondern Spezialkameras erfassen für eine neue Tracking-Technologie die Bewegungen der Spieler und des Balles. Jedem Fußballer sind 21 Körperpunkte von Kopf bis Fuß zugeordnet – und neben der exakten Positionsbestimmung wird auch der Abspielmoment des Balls automatisch erfasst. Spätestens die grafische Darstellung sollte eigentlich jedwede Diskussionen überflüssig machen.

Doch während in der Leichtathletik niemand das Zielfoto bei einer Millimeterentscheidung anzweifeln würde, tickt der Fußball immer noch anders. Hauchzart hatte sich im Ostderby der 2. Bundesliga beim 1:2 zwischen Dynamo Dresden und dem 1. FC Magdeburg der FCM-Stürmer Martijn Kaars vor dem vermeintlichen dritten Gästetreffer im Abseits befunden, dennoch wollte Magdeburgs Trainer Markus Fiedler das von der neuen Methode gelieferte Bild als Beweis nicht anerkennen: »Seine Beine stehen einen Meter hinter seinem Gegenspieler.« Solch eine Entscheidung sei nicht im Sinne des Fußballs. Schwenken konterte am Dienstag: »Wenn ein System mit einer Verlässlichkeit von einem Zentimeter Abseits anzeigt, ist es Abseits.«

Kosten für die Klubs

Die Technologie wurde bereits bei Welt- und Europameisterschaften der Männer und Frauen eingesetzt. Was zuerst bei der WM 2022 in Katar funktionierte, übernahm 2023 die Serie A in Italien, ein Jahr später La Liga in Spanien und ab April 2025 die englische Premier League. Die Bundesliga zieht als letzte Top-Liga Europas nach. Die von den Klubs übernommenen Kosten seien »tragbar«, meinte Schwenken, ohne den Millionenbetrag zu beziffern.

Verbessert werden soll die Nachvollziehbarkeit der VAR-Entscheidungen. Ohnehin kann im »Kölner Keller« niemand mehr dunkle Mächte vermuten, weil die Kontrollräume ab 2026 in der Frankfurter DFB-Akademie beherbergt sind.

Künftig wird es in allen Stadien Durchsagen geben, wenn der Referee sich am Monitor eine Szene angesehen oder eine Entscheidung nach VAR-Eingriff geändert hat. Dafür wurde das Feedback bei Zuschauern, Schiedsrichter, Klubs und Medienpartnern abgefragt, mit einer Zustimmung »von 80 bis 90 Prozent«, wie Schwenken erläuterte.

Die Nettospielzeit

Die Nachspielzeit wird sich allerdings erhöhen. Es soll eine einheitliche Regelung her, um »verlorene Zeit, nicht vergeudete Zeit wieder reinzuholen«, erklärte Schwenken. Für jedes Tor und für jeden Auswechselslot werden pauschal 30 Sekunden veranschlagt. Verletzungsbehandlungen und VAR-Checks kommen obendrauf. An den ersten beiden Spieltagen der zweiten Liga stieg die Nachspielzeit von 4:26 Minuten pro Halbzeit bereits auf durchschnittlich 5:17 Minuten. Ziel sei es, erklärte Kircher, die Nettospielzeit von bislang rund 60 Minuten zu erhöhen. »Es ist gar nicht so exorbitant viel mehr, aber es gibt eben eine Range bis hin zu elf, zwölf Minuten.«

Verbessert werden soll das Miteinander, weshalb sich die Kapitäne, Trainer und Referees künftig 70 Minuten vor Anpfiff in der Schiri-Kabine zu einem Handshake-Dialog treffen. Dazu dient auch ein gemeinsamer Workshop aller Trainer und Schiedsrichter am 6. Oktober an fünf Stützpunkten.

Ganz neue Perspektiven vermittelt die »RefCam«: Laut Schwenken wird bei 20 bis 50 »Leuchtturmspielen« in der ersten und zweiten Liga die Spezialkamera eingesetzt, deren Bilder auch Marketingzwecke bedienen. Insgesamt hat das Schiedsrichterwesen schon jetzt wieder einen besseren Ruf erlangt, was vor allem den Amateuren hilft. Nach jahrelang sinkenden Zahlen sind wieder mehr Unparteiische im Einsatz. 61 027 Schiedsrichter pfiffen in der vergangenen Spielzeit in Deutschland, ein Plus von rund 3000 im Vergleich zur Vorsaison.

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