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Konzeptlose Regierung

Gewerkschaften ziehen vor der Landtagswahl in Hessen Bilanz und planen Aktionen

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Führende Gewerkschafter aus dem DGB-Bezirk Hessen-Thüringen haben jüngst unter dem Titel »Verlässlichkeit gestaltet - Perspektiven eröffnet?« beim Marburger Büchner-Verlag ein knapp 300 Seiten dickes Buch herausgegeben, das in Beiträgen aus den einzelnen Bereichen eine Bilanz der bisherigen Landespolitik zieht und Perspektiven aufzeichnet.

Die Bilanz der amtierenden Landesregierung sei insgesamt »ernüchternd«, resümiert DGB-Bezirkschef Michael Rudolph die Taten der ersten schwarz-grünen Koalition in einem größeren deutschen Flächenland. So bleibe etwa das Hessische Tariftreue- und Vergabegesetz »weit hinter den europarechtlichen Möglichkeiten« zurück, zumal wichtige Punkte wie ein vergabespezifischer Mindestlohn und Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im Gesetzestext ebenso fehlten wie eine eigenständige Kontrollbehörde. Bei der Wirtschaftsförderung vermisst Rudolph eine »Bindung an soziale Kriterien«. Damit gebe das Land die Möglichkeit aus der Hand, etwa tariftreue Betriebe mit Betriebsrat und geringem Anteil an prekärer Arbeit zu fördern. Auch wenn Hessen zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Sozialprodukt gehöre, sehe die sozialpolitische Bilanz anders aus. Die Regierung habe kein Konzept gegen zunehmende Ungleichheit und Armut, gegen Wohnungsnot in Ballungsgebieten und »ins Unermessliche steigende« Mieten. Auch bei der Gewinnung von ausreichend Fachkräften für Pflege, Förderschulen, Grundschulen und Berufsschulen sei die Koalition ratlos, so der Gewerkschafter.

In einem weiteren Beitrag befassen sich der hessische DGB-Chefökonom Kai Eicker-Wolff und der gewerkschaftsnahe Wirtschaftsprofessor Achim Truger mit dem jahrzehntelangen Rückgang staatlicher Investitionen und dem Investitionsstau bei der Infrastruktur. In Hessen hatten CDU, SPD, FDP und Grüne 2011 eine Volksabstimmung über die Verankerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung vorangetrieben. Damals stimmten gegen den Widerstand von Gewerkschaften und Sozialverbänden 70 Prozent dem Vorhaben zu. Unter dem Diktat der Schuldenbremse sei eine Kreditfinanzierung von staatlichen Investitionen unmöglich gemacht worden, so die Autoren. Auch die inzwischen wieder unerwartet hohen Steuereinnahmen hätten den Investitionsstau insbesondere bei den Kommunen nicht aufgelöst, so die Autoren. Hessen hatte unter der damaligen CDU-Alleinregierung auch den Austritt aus dem Arbeitgeberverband Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) vollzogen und bleibt bis heute dabei. Auch wenn das Land 2017 angesichts der heranrückenden Wahltermine seinen Bediensteten als »Bonbon« die freie Nutzung von Bussen und Bahnen des landesweiten Nahverkehrs gewährt hatte, bleibt aus Sicht der DGB-Gewerkschaften die Forderung nach Rückkehr in die TdL bestehen.

Auch im Bereich der öffentlichen Forstwirtschaft macht sich der jahrzehntelange Rotstiftkurs bemerkbar. So beklagt Claudia Mävers von der zuständigen Gewerkschaft IG BAU einen Verfall der Infrastruktur in hessischen Wäldern. Mit den Budgets können nur noch die Hauptwege in den Forsten instand gehalten werden. Und bei der auch durch den Personalabbau geförderten Fremdvergabe von Waldarbeiten kämen viele osteuropäische Subunternehmen als Billiganbieter zum Zuge, die faktisch keiner externen Kontrolle unterlägen. Weil viele durch Stürme umgeknickte Bäume über längere Zeit liegen blieben, könne die dadurch geförderte Käferplage auf bei noch stehenden gesunden Bäumen riesige Schäden anrichten, warnt Mävers.

Hessens DGB-Gewerkschaften belassen es aber nicht bei schriftlichen Mahnungen. Sie rufen mit Bündnispartnern bis zur Wahl am 28. Oktober zu Podiumsdiskussionen und landesweiten Demonstrationen auf. Bildungsdemos sind für Samstag in Kassel und Frankfurt am Main geplant. Am 13. Oktober soll ein landesweiter Aktionstag gegen einen Einzug der AfD in den Landtag stattfinden. Am 20. Oktober gibt es in Frankfurt am Main eine Demonstration gegen den vor allem in Südhessen um sich greifenden »Mietenwahnsinn«.

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