Grenzen des Obszönen

DAU-Projekt in Berlin

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Berliner Behörden haben dem umstrittenen Kunstprojekt »DAU« mit dem Nachbau einer Mauer mitten in Berlin aus Sicherheitsgründen die Genehmigung versagt. Bedenken hatten die Behörden vor allem bei der Verkehrssicherheit, den Rettungswegen und beim Brandschutz, wie Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos) und die Bezirksstadträtin von Mitte, Sabine Weißler (Grüne), am Freitag erklärten. Bei dem Projekt des russischen Filmemachers Ilya Khrzhanovsky sollte vom 12. Oktober an vier Wochen lang ein ganzes Häuserkarree in Berlin-Mitte mit einer Betonmauer abgeriegelt werden, um dahinter ein diktatorisches System erfahrbar zu machen. Bis zu 3000 Besucher pro Tag wurden erwartet.

Die Berliner Festspiele, die als Veranstalter des Projekts auftraten, reagierten enttäuscht. Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bedauerte die Absage. Zwar müsse man für Sicherheitsbedenken Verständnis haben, dennoch habe sie sich auf das Projekt gefreut. »Nur wer den Mut zum Experiment hat, wer also bereit ist, auch vorhandene Grenzen infrage zu stellen, schafft Fortschritt und ist Avantgarde im besten Sinn.« Ähnlich hatten sich schon zuvor Filmschaffende wie Lars Eidinger, Iris Berben, Tom Schilling und Veronica Ferres geäußert. Ein Stopp des Projekts würde eine Einschränkung der Kunstfreiheit bedeuten, erklärten sie.

Andere Prominente wie die ehemalige Stasi-Unterlagenbeauftragte Marianne Birthler und die Publizistin Lea Rosh verwiesen dagegen auf das Leid, das die Mauer den Menschen in Berlin jahrzehntelang gebracht habe. »Wir wollen keine Mauer mehr sehen!«, schrieben sie in einem offenen Brief. »Sie war kein Eventspielzeug.«

Dass die Aktion derart polarisiert, ist kein Zufall. Berlin ist das Zentrum politischer Aktionskunst. Noch jedem Thema, jedem politischen Skandal rücken die Künstler mit diesem Mittel zu Leibe. Und sie wollten schon immer provozieren. Einmal haben sie die Kreuze »entführt«, die an die Menschen erinnern, die an der Berliner Mauer zu Tode kamen, als sie von Ost nach West flüchten wollten. Die Kreuze wurden an der EU-Außengrenze wieder aufgestellt, um damit gegen die Flüchtlingspolitik der EU zu protestieren.

Der Protest aber ist in solcherart politischer Kunst längst zum Kulturevent geworden, ja zu solch einem verkommen. Das liegt vor allem daran, dass die, die diese Provokation inszenieren, selbst nicht die Betroffenen sind. Sie handeln stellvertretend, maßen sich Betroffenheit an. Leicht verlieren sie so das Maß.

Das Projekt DAU ist ein Beispiel dafür. Der Mauernachbau sollte denen, die ein Ticket erwerben, vermitteln, wie es sich anfühlt, eingeschlossen von einer Mauer zu leben. Diesem Gedanken des Reenactments, der Nachstellung des Vergangenen, haftet etwas Obszönes an. Was wäre als Nächstes zu erwarten: Das Einatmen von Gas in kleiner Dosierung in einem Bunker am Holocaust-Mahnmal, um zu vermitteln, wie es sich anfühlt, in einer Gaskammer zu sein?

Wer etwas älter ist und die Stadt noch aus der Zeit der Teilung kennt, weiß, wie schrecklich es sich anfühlt, eingeschlossen von einer Mauer zu leben. Er kann sich aber auch daran erinnern, welche politische Freiheiten in Westberlin durch die Mauer möglich waren.

Die Berliner Behörden haben den Nachbau der Mauer aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Brandschutzes gestoppt. Das sind sicherlich vorgeschobene Gründe. Aber gut ist die Entscheidung allemal. Mit Agenturen

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