Bei einem berühmten Homophoben

Martin Leidenfrost suchte in der tiefsten schwedischen Provinz einen eingefleischten Feind von Schwulen und Lesben

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Obwohl ich nicht weiß, ob er noch lebt, will ich von Åke Green erzählen. Der Pastor der Pfingstbewegung, der nun 77 Jahre alt wäre, testete im Juli 2003 das neue schwedische Gesetz gegen Hassrede: Er predigte auf der Insel Öland gegen praktizierte Homosexualität, die er als »tiefen Krebstumor in der Gesellschaft« bezeichnete. Das Kreisgericht verurteilte ihn 2004 zu einem Monat Haft. Das Berufungsgericht Göta sprach ihn frei, der Generalstaatsanwalt legte Berufung ein; schließlich entschied das Höchstgericht. Green war zwar nach schwedischem Recht schuldig, da die Europäische Menschenrechtskonvention aber Greens Meinungs- und Religionsfreiheit schützte, hätte eine Verurteilung vor dem Europäischen Gerichtshof kaum gehalten. Also sprach ihn das schwedische Höchstgericht lieber frei.

Ake Green wurde eine Zeitlang herumgereicht, vor allem in christlich-konservativen Kreisen der USA. Nach 2008 verlor sich seine Spur. Ich fragte mich, was für ein Leben ein solcher Mann in der vielleicht fortschrittlichsten Gesellschaft Europas führte. Letzten Winter ging ich ihn suchen. Dank der legendären schwedischen Transparenz fand ich im Internet auf seinen Namen ein Landhaus im Dorf Berga mit 1093 Quadratmetern Grund, die angegebene Telefonnummer war aber tot. Seine Pfingstkirche schwieg zu meinen Anfragen, die lutherische schwedische Staatskirche von Berga auch.

Ich fuhr aufs Geratewohl los, dreieinhalb Stunden von Stockholm nach Süden. Nach Linköping eine Idylle freundlich gestrichener Holzhäuser, alle mit Seeblick; Schweden hat doppelt so viele Seen wie Finnland. Im Zug las ich Greens sehr lange Predigt von 2003. In ihr waren so ziemlich alle Bibelstellen versammelt, die gleichgeschlechtlichen Sex verurteilen. Nichts Eindeutiges von Christus selbst, einiges von Paulus, viel Altes Testament, viel Sodom. Diese Predigt war ohne jeden Zweifel homophob. Green behauptete sogar, dass sich Homosexuelle ihre Orientierung aussuchen würden und dass sie »Tiere vergewaltigen werden«. Wer so lebe, könne kein Christ sein.

Berga war ein großes nüchternes Dorf, am Rand mit einer Straße für die Armen und für die Anderen. Eine Rostschüssel stand schräg im Rasen. Unten, am verschilften Dorfteich, lag Åke Greens weißes Landhaus. Ich läutete mehrmals. Dann stand er vor mir. Ein kerzengerader Riese, weißes Haar, dicke Gläser, tiefer Bass. Er konnte keine Fremdsprachen und schlug die Tür wieder zu.

Das war’s. Die teure Fahrt für nichts. 15 Uhr, es dämmerte schon. Die polnischen, kenianischen, vietnamesischen Nachbarn nicht zu sehen, eine verwahrloste Alte, die nur Schwedisch sprach. Der syrische Nachbar, Flüchtling und Vater von neun Kindern, rettete mich. Er holte Evert, 81, herbei. Evert hatte im Scania-Werk LKWs lackiert und sprach gebrochen Englisch. Als der fröhliche Senior »zum Dolmetschen« mit mir anrückte, ließ uns der gestrenge Pastor ein.

Verteilt über das Erdgeschoss, sah ich drei massive Esstische, drumherum Stühle mit hohen, harten Lehnen. Kein Sofa, kein Fauteuil. Sieben hängende Teller, kaum christliche Kunst, kleine Landschaftsmalereien ohne Ereignis und Sturm. Allenthalben gezügelte Leidenschaften. Aus der Abstinenzbewegung IOGT-NTO geflogen zu sein, musste ihn 2008 besonders schmerzen.

Ich fragte ihn, ob er noch so denke wie in seiner berühmten Predigt. Unverwandt geradeaus schauend, antwortete er: »Ja, ja, ja.« Es sei »sehr schlecht«, dass inzwischen auch die Staatskirche die Homo-Ehe eingeführt hat, »Mann, Frau, Transvestiten, sie machen alles«. Er hatte 2003 prophezeit, dass die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen »unvergleichliche Katastrophen« wie AIDS hervorrufen würde, und hatte vor Erdbeben oder Monsunregen mit Tausenden Toten gewarnt. »Können Sie mir eine Katastrophe nennen, die seither eingetreten ist?« - »Es gibt davon mehr und mehr.« Konkreter wurde er nicht.

Er hatte in Äthiopien ein Seminar für 125 Priesterseminaristen gehalten, »in Äthiopien wollen die Priester nicht einmal über dieses Thema sprechen. Sie sagen, es ist falsch.« Nun unternimmt er noch drei Mal im Jahr eine kleine Predigtreise durch Norwegen. In Schweden predigt er nur noch einmal im Monat, in einem anderen Dorf. »Fühlen Sie sich fremd in Schweden?« - »Nein.« Damit ich ihm schriftliche Fragen stellen konnte, schrieb er mir seine Mailadresse auf. Als ich ihm neulich schrieb, war auch die Mailadresse tot.

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