Im Weh doch unverheult

Die Schauspielerin Ursula Werner wird 75

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Scheu, dabei doch hartnäckig. Unverdrossen, dies freilich im Schmerz. Trotzig zart - just dort, wo das Leben so gar nicht hinhaut, sondern nur zuhaut. Ursula Werner. Sie kann das Aquarium als Traum vom Meer spielen, das Weltweitglück im engen Hamsterrad. Im goldenen Käfig bleibt sie Aschenputtel. Sie ist das Wesen, das von Sterntalern träumt, aber dann, wenn die vom Himmel fallen, vor Staunen vergisst, die Schürze zu heben. Derb kann sie werden und drollig bleiben. Grinsend frech, ohne weniger ohnmächtig zu sein.

»Himmelfahrt zur Erde« hieß vor fast fünfzig Jahren, am Theater in Halle, programmatisch ein Stück Armin Stolpers, und Ursula Werner spielte das Mädchen Marusja. Eine Naive am Ende aller Straßen; eine kleine Kittel- und Brillen-Existenz. Die Werner, gelernte Möbeltischlerin, die am Berliner Arbeitertheater von Regisseur Horst Schönemann entdeckt wurde, war auch ein aufwühlendes Gretchen im »Faust«: Wenn sie am Ende selber, energisch(!), die eiserne Kerkertür zuzog, erinnerte sie im Verzichtsschrei an Kleist’sche Klarheit - sterben, weil einem auf dieser Erde nicht zu helfen ist. So furchtbar einfach liegen manchmal die Dinge. Schönemann brachte in Halle auch Ulrich Plenzdorfs »Die neuen Leiden des jungen W.« als Sensation zur Uraufführung; neben Reinhard Straube als Edgar Wibeau gab Ursula Werner jene Kindergärtnerin Charlie: burschikos, lieblich, keck.

In Thomas Langhoffs legendärer Aufführung »Drei Schwestern« war sie die Mascha, in Katharina Thalbachs »Möwe« Jahrzehnte später die Arkadina. Zweimal Maxim-Gorki-Theater, zweimal Tschechow. Von glühend junger Melancholie die eine, von verzweifelt komischer, weil abgewrackter Souveränität die andere. In einem kleinen Stück von Thomas Freyer - ebenfalls am Gorki-Theater, wo sie viele Jahre engagiert war - spielte sie mal eine Anita von der Edeka-Kasse: eine vom Leben Gegerbte, die sich nicht sicher ist, was wichtiger sei - die bessere Welt oder das gut gebratene Schnitzel (plus Mischgemüse). Der sogenannte einfache Lebensentwurf als große Kunst, sich durch komplizierteste Verhältnisse zu beißen, im Verschleiß das Dasein bejahen - das vor allem verkörpert diese Spielerin; du gehst nach solchem Erlebnis poröser, aber doch leutefreundlicher nach Hause.

Lange war Armin Petras ihr wichtigster Regisseur. Für Stoffe von Schleef, Bräunig, Heym. Mal geprüfte Frau, mal zäh-rigide Funktionärin. Schönste Güte, ganz Glucke - oder strenge Hosenrolle vorwärts. Traurigkeit so berührend: ein kostbarer Schattenfleck auf Lichtungen der Clownerie. In Andreas Dresens Film »Wolke 9« war sie die späte Heißliebende, in unerwarteter Lebenslust und Begehrenskraft. Die Kunst der wunderbaren Ursula Werner: bejahenskräftig in allen Trübnissen. Das Herz wund, die Züge möglichst beherrscht. Im Lachen auch weh, im Weinen doch unverheult. 75 wird die Schauspielerin heute. »Immer geht’s weiter« heißt ihre Autobiografie.

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